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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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sich im Zaun; manchmal knarzte ein Walkie-talkie, und im Schatten ahnten die Jungs die Deutschmeister-Schergen.
    Als sie wieder gegen den Kontrollpunkt fuhren, war die Schranke geschlossen. Sie reduzierten Geschwindigkeit, und im Kabäuschen sahen sie wieder den uniformierten Kopf. Auf ein Zeichen hin stellte Schlosser den Motor ab, dann tauchte ein zweiter Zöllner auf.
    Absteigen, die Brillen hoch, Legitimation. Er trug Handschuhe, schlug die Papiere ins Leder und meinte, soso. Und dann: Die zwei Röhren.
    Schlosser zog Tubus und Stativ heraus.
    So so, und der Zöllner leuchtete die Röhren aus.
    Willem meinte, wenn man etwas schmuggeln wollte, würde man das wohl eher clandestin machen.
    Clandestin, so so. Und der Zöllner blickte einmal zum Kabäuschen, es klackte und klackte, und dann waren Scheinwerfer aufgeflammt, und die Jungs standen im Brennstrahl.
    Der Zöllner sagte: Ich kenn welche, die halten sich für oberschlau. Tauchen auf wie Schmuggler und meinen, damit kommen sie schon durch. Und nach hinten rief er: Haste ne Ahnung, was clandestin is, Max? Und zu den Jungs: Marsch in die Loge!
    Im Kabäuschen sagte der andere: Taschen leer und keine Zicken! Seinem Kollegen rief er zu: Clandestin? Das kommt doch von den Haschbrüdern.
    Draußen der Zöllner rief: Haschbrüder und Marxisten also, und er legte die Mütze ab und machte sich an der Brennhexe zu schaffen.
    Im Kabäuschen besah der andere die Sachen; er nickte stumm, zog seine Schlüsse. Staatsfeinde also. Und plötzlich: Na, was haben wir denn hier! Und er hielt einen Brocken in die Luft.
    Willem sagte: Das gehört uns nicht.
    Der Mann grinste boshaft. Das müßt ihr mir erst mal beweisen, ihr marxistischen Haschbrüder.
    Der Zöllner von draußen rief: Max!
    Vor der Schranke stand ein Pritschenwagen, und sie sahen, wie der Fahrer die Plane abziehen mußte. Der Mann im Kabäuschen stand auf und steckte die Pistole ins Holster. Er raffte die Sachen zusammen und gab sie den Jungs zurück. Dirigierte sie zur Brennhexe, ließ sie Tubus und Stativ verstauen, starten und durch die Schranke. Dann wippte er auf den Zehenspitzen und marschierte zum Pritschenwagen.
    Von den Holzhändlern wehten Gerüche, und die Stämme lagen wie aus einer Urwelt geschlachtet da. Sie zogen vorbei an den nackten Riesen, an Rampen und Waggonreihen, an den Gewürzhäusern und der Schnapsbrennerei. Zwischen zwei langen Schuppenreihen erschienen die roten Augen eines Iltisses im Scheinwerferkegel, dann stiegen die Zylinder der Getreidemühle gegen die Nacht; Säulen, die bald noch den Himmel trugen und rings die Welt verkleinerten. Zwischen Industrielicht und Schatten flanierten dort Frauen, und im ewigen Kreis patrouillierten Automobile um sie herum. Manchmal flammten Bremslichter auf, und die Jungs ahnten die derbe Begutachtung aus der Kabine. Und wenn eine Frau in einer Kabine verschwand, ahnten die Jungs, wie sie dort versuchte, dem Mann Selbstvollendung und Unsterblichkeit zu enthüllen. Ein brutales Geschäft, meinten sie.
    Wenn von den Dampfern ein Trupp Landgänger zu den Silos stieß, veränderte sich das Bild, und die Seeleute konnten wie von Welt erscheinen; unverborgen und noch im Drang offen und lustig, mischten sie sich unter die Frauen. Doch anders gesehen, meinten die Jungs, waren diese Seemänner Gesandte des Untergangs – apokalyptische Gestalten, die Dogma, Syphilis und Krieg an Bord hatten, den wahnsinnigen Katechismus der Eroberer, dieses Entweder-Oder, dieses Sie-oder-Wir, und aus diesem Blickwinkel, meinten sie, weiche alles Weltmännische ein in seelische Kälte und innere Heimatlosigkeit; alles Gute, Schöne, Zerbrechliche würde dem brutalen Eroberer geopfert, der in seiner Gier nach Selbstvollendung und Unsterblichkeit fremde Herzen rausriß, verschlang und zuletzt allen Wahnsinn noch in die heiß puckernde Höhle stieß.
    So hockten die Jungs auf der Brennhexe.
    Und mußten irgendwann einsehen, daß, ganz egal, aus welchem Blickwinkel, die Frauen auf sie wirkten; diese im Grunde zart und anziehend erscheinenden Wesen, und noch über die Entfernung konnten sie das Erfaßtsein spüren, die Schamlosigkeit in ihren Visionen.
    Vorbei am Verschiebebahnhof, vorbei am Ölhafen, und über der neuen Stahlhütte war die Nacht ausgeleuchtet von der Roheisenwolke; ein orangefarbener Himmel, der die vorstädtischen Wohnviertel überspannte und noch

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