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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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und brachte sie wieder hervor; trug den Ruf der Wildgänse, die Nachen der Fischer, ein ewig alter Spiegel.
    Wenn Willem den Pfiff durch die Scharte hörte, freute er sich. Hans war ein Gezeitengänger, er kam, wenn das Wasser ablief, egal, ob es vor der Schule war oder vorm Zubettgehen. Seine Oma hatte ein paar Fangkörbe gepachtet, aus Rohr geflochtene Trichter, die im Schlick verankert waren, und Willem lernte, daß es Aalreusen waren. Darum auch die Blutwurst, sagte Hans. Wenn nämlich Hitze den Fluß so still und träge machte, daß Fledermäuse Kreise auf die Oberfläche schlugen, dann wurden die Aale verrückt nach Blutwurst. Auch wenn ein Sturmtief aus Nordwest im Anmarsch war oder der Fluß im Winterlicht dampfte. Doch nicht immer gingen die Aale auf Blutwurst. Da müsse man Bescheid wissen, sagte Hans, und wenn die Reusen leer blieben, hätte man was falsch gemacht. Die Blutwurst sei dahin, der Magen knurre, und man müsse daraus lernen. Man sehe sich den Mond an, die Wolken und den Horizont; man achte darauf, wie die Vögel jagten, wo die Frösche säßen, und wenn man damit seine Erfahrungen mache, könne man die Aale bald ganz gut einschätzen. Oder was man sonst einschätzen wolle, meinte er.
    Und sobald die Reusen wie Knochengerüste im glitzernden Schlick erschienen, stapfte er los. Einen Handschuh übergestreift, am Gürtel einen Sack, und mit jedem Schritt versanken seine Stiefel. Die fetten Tiere wanden sich, sie wollten zurück in die Freiheit, und Hans sprach ihnen zu. Die Kleinen ließ er frei, und bevor er an Land ging, bestellte er die Reusen für die nächste Flut.
    Später lag der Sack neben einem großen Stein, und wenn Hans in das Gewimmel langte, traten die Adern an seinem Unterarm vor. Bald fiel ihm eine Strähne ins Gesicht, sein Atem stieß durch die Scharte, und jedesmal hielt er die spitzen oder stumpfen Mäuler in die Höhe – ein letzter Blick, er sagte Lebewohl, dann drückte er die schlangenhaften Tiere gegen den Stein und schlug mit dem Schaft zu. Mit der nächsten Handbewegung blitzte die Klinge, die Leiber zuckten noch, und mit schnellen Fingern schälte er ihr Innenleben heraus. So arbeitete Hans und schien übergetreten in eine andere Welt; und mit dem Blut auf Stein und Werkzeug sah diese Welt uralt aus.
    Ohne die Aale, sagte er, wärs schwer. Sicher, so ein Sonnenjahr in der Stadt gab schon was her – Hagebutten, Holunder, Nüsse, doch der Fluß blieb ihre zuverlässigste Quelle. Auch wenn der Mann, dem die Reusenplätze gehörten, einen Teil davon bekam, ohne die Aale wären sie aufgeschmissen gewesen.
    Nach der Arbeit warf Hans das Gekröse zurück. Der Fluß konnte mit den Herzen der Aale etwas anfangen, und einmal hatte er dem Fluß sogar fünf Pfennige gegeben. Aus Dankbarkeit, sagte er, denn dankbar mußte man bleiben. Das hatten ihm die Ledergesichter erzählt; Männer, die bei jedem Wetter rausruderten und ihren Knaster noch rollten, wenn der Regen waagerecht stand. Und diese Ledergesichter wüßten schon, was es zu wissen gäbe, sagte Hans. Auch wenn die Lehrer in der Schule etwas anderes behaupteten, was er von diesen Männern lernte, das hätte Hand und Fuß. Zum Beispiel die Aale, sagte er. Da hätte ihm von Weyer doch tatsächlich Nachsitzen aufgebrummt, weil er widersprochen hatte. Aber warum sollte er das Maul halten, wenn sie den anderen was Falsches in die Köpfe hämmerte – wer wüßte denn schon, sagte er, was sich daraus alles ergeben könnte; ungezählte Jahrgänge, die mit dem Blödsinn einer vernagelten Zicke groß würden. Von Weyer hatte nämlich behauptet, daß die Aale ganz von selbst entstünden. Einfach so – Hokuspokus, in Faulschlamm oder Dreck. Und wenn man ihr widersprach, zog sie einem die Ohren lang und brummte einem was auf. Und der Hans mußte in einem Buch lesen und ihr später davon erzählen – aber was gabs da groß zu erzählen? Die Aale entstanden in Faulschlamm oder Dreck, stand in dem Buch. Und der das geschrieben hatte, hieß Aristoteles und war seit über zweitausend Jahren tot. Aristoteles, hatte Hans gesagt, sei sicher ein gelehrter Mensch gewesen, doch mit den Aalen läge der falsch. Und als er von Weyer das begründen wollte, hätte sie ihm eine Ohrfeige gegeben und einen Sechser wegen Widersetzung notiert.
    Die Fischer aber, sagte

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