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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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uns dankbar zeigen, und so brachte Hans Räucheraal mit in die Schule.
    Die Jungs waren vorsichtig. Erst wenn sie sich auf dem Rinnstein trafen und pullerten, gingen Blutwurst und Aal ganz diskret durch ihre Hände, und Willem sah keinen Anlaß, mißtrauisch zu sein. Er war sicher, daß sein kleiner Handel der Überwachung seiner Mutter entging, und auch wenn die Mutter mit von Weyer sprach, blieb alles gut. Zudem erfüllte er die Anforderungen in Produktion und Büro, und wenn er beim dicken Siegfried war, bewunderte er seine Blechautos oder ließ ihn die Schlachten gewinnen.
    Dann schrieben sie eine Erdkundearbeit.
    Siegfried hatte den Aufgabenzettel vor sich und weinte stumm. Wie üblich hatte er seine Tischhälfte abgegrenzt, doch nach und nach riß er die Barrieren ein, und Willem hatte im Grunde nichts dagegen, wenn jemand abschrieb. Als er seine Aufgaben fertig hatte, gab er dem Dicken noch etwas Zeit. Später bekam Willem eine Eins auf die Arbeit, Siegfried eine Fünf. Der Dicke hatte es selbst beim Abschreiben noch verbockt; zuerst weinte er wieder, dann machte er ein gehässiges Gesicht und sprach nicht mehr mit Willem.
    Zu Hause erwartete ihn die Mutter. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch, das Haar aufgetürmt, ihr Busen wie aus Stein. Unsere Blutwurst! rief sie. Auf dem Schulklo! rief sie, und frißt den Aal vom Pack! Rede nicht, wer arm ist, will nicht arbeiten, und wer mich belügt und betrügt, der soll mich kennenlernen.
    Und die Mutter strich ihm alles; die Nachmittage an der frischen Luft, den Umgang mit Hans, alles, was ihm Spaß machte. Statt dessen sollte er ab jetzt rudern; Ertüchtigung, Abhärtung, und wegen seines unzuverlässigen und betrügerischen Charakters würde sie ihn noch bei den Trainingsstunden kontrollieren.
    Erst im Bett fühlte er sich wieder sicher. Wenn Dunkelheit die Anforderungen der Mutter verwischte und er andere Welten in sich lebendig halten konnte. So lag er, und durch einen Spalt im Vorhang leuchteten die Sterne.

3
    Das Ziel stecke in dem Jungen selber. Seine Aufgabe, sagte der Mann, sei lediglich, einen Weg dorthin zu entwickeln – eine Aneinanderreihung von Muskelschmerz und Blasen, unendliche Etappen zwischen Vorstellung und Verwirklichung, aber auch die Erkenntnis, daß Disziplin ein verläßlicher Wegbereiter sei; daß die körperliche auch die geistige Festigung bewirke, und schließlich, sagte er und kniff Willem in den Oberarm, schmiede man hier gemeinsam den Willen zum Ziel.
    Und Elite, sagte der Mann, ist ein Wort, das nichts mit Herkunft zu tun hat, sondern mit persönlichen Qualitäten, und er versicherte der Mutter, daß bei ihm auch die Weichen und Biegsamen ihr Potential zum eigenen Wert entwickelten, oft sogar stringenter als diejenigen, die von vornherein fest erschienen; Oxford und Cambridge, sagte er, was die da alljährlich veranstalteten, sei kaum mehr als eine Butterfahrt, und wer es bei ihm bis in den ersten Achter schaffe, hätte es auch zu einer Persönlichkeit gebracht. Ganz offen, sagte er, ihm sei es egal, ob man als reicher Zögling käme oder als Arbeiterkind. Hier säßen alle Mann im selben Boot, und sein Ziel sei immer die Summe der erreichten Einzelziele. Und er zeigte auf die Vitrinen voller Devotionalien.
    So stand der Mann, ein bärtiger Riese im Trainingsanzug, und Ihrem Wunsch, sagte er dann, kann ich nicht stattgeben. Bei allem Respekt, aber wenn die Jungs schwitzten und die Muskeln bis zum Schrei schmerzten, wollten sie nicht ihre Mutter dabeihaben – nichtwahr: Wie stünde denn so einer vor den anderen da, das sei doch nachvollziehbar, sagte er. Nein, Mütter im Trainingsraum, das sei gegen seine Prinzipien. Wenn die Jungs zu ihm kämen, seien sie in seiner Welt, ohne Wenn und Aber, denn schließlich solle jeder Sprößling mal auf eigenen Füßen stehen.
    Die Mutter fand den Trainer subversiv; sie sprach von ethischer Fäulnis. Zu unserer Zeit, sagte sie zu Kronhardt, waren Vereine verbunden mit Familie und Volk, damals wurde noch eine sichere Basis geschmiedet. Doch heutzutage demontiere man gleich die ganze Pyramide – man müsse sich das mal vorstellen, rief sie. Da habe man die besten Absichten, ja, man zahle auch noch dafür, und dann wirke ein moralisch Irrer auf die eigenen Kinder und präge ein, was nie mehr rausginge.
    Kronhardt lächelte und drückte die Hand seiner Frau; ihn selber, sagte

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