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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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niemand kannte und sie dort ungestört am Fluß sitzen konnten.
    Sie fanden eine ruhige Gaststätte hinterm Teerhof. Die Wirtin servierte hausgemachten Kuchen und stellte keine Fragen, wenn sie einander aus den Tageszeitungen vorlasen und diskutierten, wie sich um den Tod des Feldwebels herum alles aufblähte und verdichtete. Im Grunde waren sich die Zeitungen nur darüber einig, daß es sich um Vernichtung von Menschenleben handelte. Der Rest war weites Feld. Weit und willkommen, und jeden Tag wurden neue Schlagzeilen von den Verkäufern ausgerufen. Jeden Tag neue Spekulationen und Behauptungen, und die Reporter trieben ihre Nachforschungen in Tiefe und Peripherie. Ein Netz aus Vermutungen und losgelösten Tatsachen, das ständig in gewünschte Zusammenhänge gestrafft wurde. Informationen wurden aus dem Nichts erschaffen oder manipuliert, Hauptsache, die Zeitungen lieferten ihre Art von Energie für das System. Und Mord war immer guter Brennstoff; Mord befeuerte wie von selbst die Rotationstrommeln, und beim täglichen Rapport wurden die Chefredakteure mit den Auflagenzahlen konfrontiert, die Verleger schlugen daraus eine direkte Verbindung zur öffentlichen Meinung, und mitunter erschien es ihnen wesentlich effizienter, die öffentliche Meinung selbst zu steuern, als erst mühsam Demoskopie zu betreiben. Und so kümmerten sich die Verleger, diskutierten den Feldwebelmord mit Politikern und Kaufleuten, plauderten mit dem Polizeipräsidenten bei Languste und Wein. Und kaum später schmiedeten die Redakteure bereits mit ihren Lettern, verquickten die Tat mit Hippiebewegung und Anarchie, schlugen Abgründe auf, offenbarten Verfall und installierten wunderbar logisch erscheinende Pranger. Alles, woran die Volksseele sich weiden und was sie danach als eigene Meinung wieder hervorpressen konnte. So stiegen die Auflagenzahlen, so brachte jedes Blatt den Tod in der Reihenhaussiedlung als letzte, fettgedruckte Wahrheit.
    Und so geriet bald Gisela ins öffentliche Visier.
    Die Tochter aus gutbürgerlichem Hause wurde als subversiv entlarvt, die Photos von der Maidemonstration gerieten in Umlauf. Die Zeiten waren aus den Fugen, und die Kinder, wurde geschrieben, fraßen ihre Eltern. Schlagzeilen und Schockbilder machten Gisela zu einem roten Ungeheuer, und man unterstellte ihr Mordlust, Habgier und jede Art von Verwerflichkeit. Man verpaßte ihr einen Charakter mit Merkmalen, die Elternmord nur folgerichtig erscheinen ließen, und steigerte daraus die absolute Bereitschaft zum finalen Dolchstoß gegen die Mutterrepublik.
    So saßen sie zu dritt in der Nische. Aßen hausgemachten Kuchen, die Wirtin hörte Schlagermusik, und einmal tauchten zwei Kriminalbeamte auf. Als wäre es nichts, glitten sie in die Nische, spendierten eine Runde und wollten wissen, ob Gisela nicht doch etwas präziser nachweisen könne, wo sie zur Zeit der Tat gewesen sei. Im besetzten Haus und auf einem Spaziergang sei ziemlich vage, sagten die Männer. Und als Schlosser und Willem nickten, gab Gisela schließlich zu, an jenem Abend einen Diebstahl begangen zu haben. Sie habe gelbe Sturmlaternen von einer Baustelle besorgt und sei dabei von einem spießigen Alten mit Goldrandbrille gestellt worden. Sie habe ihn zweimal gegen das Schienbein getreten, bevor er sie losließ.
    Tatsächlich wurde dieser spießige Alte ausgemacht, ein ehemaliger Richter, der Giselas Alibi prompt bestätigte, und in den Tagen darauf konnten sie vor allem aus den Leserbriefen eine Enttäuschung über diese Wendung herauslesen. Doch die Zeitungen fackelten nicht lange und lieferten der Öffentlichkeit, wonach sie verlangte. Als Hippies verkleidete Reporter stießen noch einmal tief hinein ins Milieu der Maidemonstranten, präsentierten bald Brocken, bald Zusammenhänge und Motive, und schon stand der nächste langhaarige Teufel im Fadenkreuz.
    Doch zuletzt beendete die Polizei alle Spekulation und alles Wunschdenken, und aus ihrer Rekonstruktionsarbeit ging das hervor, was Gisela längst wußte. Die Schlagzeilen verloren alles Reißerische, und in den Artikeln wurde nüchtern berichtet, daß die sorgfältige Auswertung aller Spuren nur noch einen Hergang im Reihenhaus des Feldwebels zuließe. Und als Giselas Mutter endlich vernehmungsfähig war, bestätigte sie der Polizei stumm, daß sie zuerst ihren Mann erschossen und dann versucht habe, auch sich selbst zu

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