Kronhardt
klatschten, als könnten sie sich bereits strahlend in der Zukunft sehen.
Später stand Willem bei Häppchen und Sekt. Dann wurden Photos gemacht, und er reihte sich ein in sein erstes Semester. Die Begeisterung seiner Kommilitonen war unglaublich â als wären sie tatsächlich Pioniere, als läge ein neuer Kontinent zu ihren FüÃen, und mit ihren einhellig klingenden Schlachtrufen erschienen diese angehenden Betriebswirtschaftler wie eine eigene taxonomische Art. Oder anders: eine nahtlose Fortführung all der Siegfrieds und Leysieffers und Lasalles; geistige Kopien ihrer Eltern, kein Revoluzzerblut, und nicht einer unter ihnen, der irgendwas in Frage stellte. Nur diese verdammte Selbstgefälligkeit in Schlips und Kragen. Nur dieser eingebildete Pioniergeist. Und auch die Frauen schienen von dieser Art; graumäusig, bieder und im Geiste angetrieben von einem wunderbar vorgeprägten Lebenslauf.
Nach den Photos fand die Ortsbegehung statt. Alles neu, alles Beton. Das Auditorium maximum, die fensterlosen Hörsäle, die Ecken mit den Kaffeeautomaten. Und zwischen den Fakultäten die Boulevards, in Grün, in Gelb, knallige Farben der Zeit und architektonisch gewollte Brüche; ein frisch gehärtetes Labyrinth, das noch seltsam undurchdrungen war von Zeit und Bestimmung. Und als sie in der Mensa saÃen, muÃte Willem feststellen, daà sogar altüberlieferte Tellergerichte wie Sauerkraut mit Hecht oder gedämpfter Wickelbraten in den geometrischen Ausstanzungen des Tabletts wie neu erschaffen wirkten.
Nach dem Essen wurden sie durch die Bibliothek geführt, und auch hier schien alles pionierhaft. Der Bestand war bereits auf Mikrofilm gespeichert, und über ein Lesegerät konnte man jeden Titel aufspüren. Willem spazierte durch die Gänge, er stieà auf Aufsätze von Popper oder Feyerabend, er stieà auf sozialwissenschaftliche und politische Materialien zu Tolstoi oder Turgenjew, und so lieà er die Mitstudenten weiterziehen.
Später versuchte er erst gar nicht wieder, Anschluà zu finden. Er hatte sich gemerkt, wo die Hochschulkneipe war, und orderte ein Bier. Während er den zweiten Humpen leerte, schien es ihm, als hätten Direktor und Bürgermeister vorhin doch nicht so schlecht gesprochen. Das Pionierhafte im Anfang, hatten sie gesagt, und die Absicht, damit eine friedliche Zukunft zu installieren. Die entscheidende Metabolie zu individueller Reife und gesellschaftlicher Verantwortung, hatten sie gesagt, und daà er selber kein Gefühl dazu entwickelt hatte, lag ganz einfach an seinem miserablen Start. Allgemeine Naturwissenschaften, und nach einer Orientierung womöglich die Verfeinerung in Richtung Evolutionsbiologie. Das hatte er gewollt. Damit hatte er ein für allemal vor den Alten klarstellen wollen, wer er war. Wohin diese entscheidende Metabolie ihn bringen sollte.
So saà er und trank. Und während seine Kommilitonen noch auf dem Rundgang waren und über phantastische Neuordnung und sich grenzenlos verändernde Märkte diskutierten, hatte er das Gefühl, tatsächlich etwas zu tun: die ersten Spuren studentischer Verzweiflung in die Wände getränkt, und so orderte er den nächsten Humpen.
Irgendwann setzte sich eine Frau an den Nebentisch. Auch sie trank ein Bier und schien sonst niemanden zu kennen.
Als sie ihn nach Feuer fragte, muÃte er passen. Später kam sie noch mal an seinen Tisch und fragte, ob sie ihn auf ein Bier einladen dürfe. Sie plauderten ein biÃchen, und er roch ihr Parfüm. Sie hieà Doris, und hinter ihrem Lächeln meinte er Biederkeit auszumachen.
Sie begegneten einander öfter in der Kneipe. Meist grüÃte Willem nur, nahm ein Bier und fuhr dann mit dem Zug zurück. Manchmal aber setzte sie sich zu ihm, und dann verpaÃte er seinen Zug. Anfangs ärgerte er sich darüber, doch dann sah er ein, daà er ebensogut sitzen und plaudern konnte. Mit dem Studium konnte er gegenüber den Alten alles rechtfertigen, und wenn er im Betrieb hinterherhinkte, war das nicht seine Schuld.
Doris hatte schöne Zähne. Sie bestellte zwei Kurze, und nach dem nächsten Humpen revanchierte sich Willem. Doris rückte näher. Ich bin echt kein aufdringlicher Typ, sagte sie, und Willem spürte ihre Seite. Aber ich finde dich ziemlich cool.
Cool?
Das sagt man doch jetzt.
So? Dann finde ich Coolsein ziemlich uncool.
Sie zeigte ihm ihre Zähne, und er
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