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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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machten sie dort nicht halt, und die Alten konnten es nicht glauben, wie das Erbgut der Ahnen in nur einer Generation entartet war. Was für ein Wahnsinn, diese Kinder: fraßen ihre Eltern und machten daraus Liebe.
    Diese langhaarigen Teufel! riefen die Mutter und Kronhardt. Und wie unmittelbar und ernst die Lage war, offenbarte sich ihnen im Fall des Feldwebelmords. Für die beiden steckte diese Gisela als treibende Kraft dahinter, ganz egal, was die Zeitungen zuletzt geschrieben hatten. Für die beiden war diese Gisela eine Vatermörderin; sie besudelte die Kultur des Abendlandes, sie war Keimzelle des Untergangs, und von Willem forderten sie, sich konsequent von solchen Elementen fernzuhalten. Und weil sie ihm eine solche Beharrlichkeit nicht zutrauten, weil sie jegliches Rückgrat an ihm vermißten und ihn stets im Dunstkreis dieser Haschbrüder und Revoluzzer sahen, forderten sie bald den Barras. Willem sollte seinen Dienst ableisten, so früh es eben ging. Erst wenn er diesen gefährlichen Zeiten mit einem gewissen Schliff entgegenzutreten wüßte, würden sie sein Studium finanzieren.
    Doch bei der Musterung fiel Willem glattweg durch. Der Stabsarzt nannte ihn einen jungen Mann mit deformierter Skelettachse; vielleicht schleichendes Erbe, sagte er zu Willem, vielleicht auch unglücklicher Einzelfall, jedoch nichts, was den Alltag behindere oder worüber er sich ernstlich sorgen müsse. Dann klopfte der Stabsarzt ihm auf den Rücken – sein Pflichtgefühl in Ehren, doch solange er über Tauglichkeit zu entscheiden habe, käme Willem in keinen Soldatenrock.
    Für die Alten war dieser Beschluß eine genealogische Erniedrigung. Und sie gaben Willem alle Schuld. Sein fahrlässiger Umgang in diesen Zeiten! Diese Gisela, riefen sie, und dieser Schlosser! Und natürlich ritten sie auf dem Weichen Schanker herum, auf Willems Dirnenhurerei, seiner Abartigkeit, sich noch bis in die Keimzellen mit Gesindel einzulassen. Igitt, riefen sie und erwarteten, daß er um so mehr Verantwortung übernahm. Wie sie es nannten: Reparation auf ganzer Linie.
    Die Tage fuhr Willem ins Teufelsmoor. Er kiffte und trank und lachte sich halbtot. Eine staatlich verordnete Unfähigkeit zur Uniform. Was für eine Nummer, dieser Stabsarzt. Und was für eine wunderbare Ironie, dieses Rückgrat. Und was für eine Gnade, verschont zu bleiben von all den Feldwebeln und ihren kaputten Seelen. Von noch mehr Willkür und Borniertheit; von Verhaltensstörungen, Gestank und Geschwätz der Kasernierten, die einen zuletzt nicht mal auf dem Kameradenscheißhaus in Ruhe ließen. So lag Willem im Teufelsmoor, bis er Visionen hatte. Was für eine Nummer, dieser Stabsarzt. So ein Rückgrat, wer hätte das gedacht. Konnte Gnade sein gegen die Diktatur all der kaputten Seelen. Und er kiffte, trank und lachte, bis er Visionen hatte von ewiger Freude.
    Wieder im Alltag, bediente Willem die ratternden Maschinen; er verrichtete seine Aufgaben im Büro, holte Kunden vom Bahnhof ab oder führte sie durch die Stadt und erklärte Gebäude, historische Zusammenhänge und Zeitenwenden.
    Er tat, was die Alten verlangten, und wußte, wie die Dinge in ihren Augen aussahen. Bereits im Vorfeld suchte er alle Möglichkeiten zur Klage auszuschalten, und sobald er sich wegen seines Mangels an Widerstand schämte, berief er sich darauf, daß es im Grunde nur ein flüchtiger Zustand sei; und daß er jederzeit das Beste für sich herausholen könne. Und sobald er draußen war, verwandelte sich die ganze Welt in einen kostbaren Rohling; er spürte die Lust zu atmen, und wenn er aufsattelte, überkam ihn bald das vertraute Gefühl.
    Die Alten nannten die neue Universität in Bremen eine rote Kaderschmiede und drängten Willem in eine ebenfalls neu gegründete Fachhochschule im niedersächsischen Umland. Sie bestanden auf dem Studium der Betriebswirtschaft, und Willem nahm es hin. Er meinte, auch dies sei nur ein flüchtiger Zustand.
    Er gehörte zu den ersten, die sich einschrieben. Zur Eröffnung sprachen der örtliche Bürgermeister und der Direktor, und sie beglückwünschten die Studenten und nannten ihre Immatrikulationsnummern pionierhaft und sowohl mit der Hochschule als auch mit der Zukunft des Landes eng verbunden. Die Worte gingen ohne jedes Gefühl an Willem vorüber, seinen Mitstudenten jedoch schienen sie zu gefallen, und sie

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