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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Vorbild war. Er war Neunzehnachtzehn mit steifem Bein zurückgekommen, hatte dem Vaterland noch als Invalide gedient und die Stickerei bis über die Ausbombung hinweg geführt. Der Großvater hatte einen ausgeprägten Geschäftssinn gehabt, ein enormes Fachwissen und die unabdingbare Fähigkeit zur Führung, und Willem hatte ebenso früh gelernt, daß nicht nur seine Mutter dieses Erbe in sich trug, sondern ganz entschieden auch er selber.
    Und so stach die Fraktur des Großvaters jedesmal in seine Augen; ein Mann, der noch vor seiner Geburt an Fischvergiftung gestorben war, den er nie kennengelernt hatte und der ihm dennoch stets unheimlich war. Nur autorisiert, und dahinter offenbarte sich für Willem der ganze Anspruch aus dem Erbe, das er in sich trug.
    Als Kronhardt die Tür öffnete, feuerten die Maschinen ihren harten Takt. Ein rasantes Stakkato, das Päckchen von Energie durch die Produktion schoß, Öldämpfe und elektrische Wellen, alles durchdringende Schauer, die noch das ganze Haus erfaßten. Unter dem Emaille der Industrieleuchten flirrten die Stoffpartikel, von endlosen Nadelstichen aus ihrem Verbund gelöst, von Treibriemen und Schwungrädern aufgewirbelt, und so marschierte Willem neben Kronhardt. Gelegentlich korrigierte der Alte den Gang des Jungen, drückte den Rücken und zog das Kinn, als wollte er ihn in seine Höhe inkarnieren. Und unablässig liefen die Lochbandrollen an einem Ende ab und schwollen an am anderen; ein Vorgang, als fütterten sich die Maschinen selbst, und Meter um Meter, Sekunde um Sekunde liefen die Informationen, steuerten Rahmenplatten und Köpfe, und die Nadeln saugten Faden von den Rollen und versenkten ihn im Stoff. So markierte das Rattern den Rhythmus der Jahrestage; so wurde die Energie aus Treibriemen und Schwungrädern umgewandelt in die spitzen Kolbenschläge einer Konjunktur, die Identifikation produzierte – Banner und Embleme, und Kronhardt konnte sich daran berauschen: Eine Verkörperung nannte er die fertigen Produkte, und wenn er sie aus dem Rahmen löste und gegen das Licht hielt, glaubte er, diesen Rausch auf Willem zu übertragen.
    So zogen sie vorbei an Einkopf-, Mehrkopf- und Schiffchenstickautomaten, und in einer Ecke, verhüllt unter einem Futteral, ruhte die Reliquie der Firmengeschichte. Es war eine Handstickmaschine mit Fußrad und Pantograph, und wenn Kronhardt die Reliquie enthüllte, schien er das banale Leben hinter sich zu lassen. Dynastisch und mit Ölfläschchen und Nadelzange stand er dann da, justierte, blies, setzte eine Augenlupe auf und trieb den Mechanismus schließlich an; führte den Storchenschnabel wie eine übernatürliche Gabe.
    Und Willem steckte stets im Sog. Er schaute aus vorgeschriebenem Winkel, ölte hier, bürstete da, und wenn der Alte seine eigenen Maßgaben durcheinanderbrachte, ließ Willem es wortlos geschehen. So sollte er das Rüstzeug eines Stickers bekommen. Von der Pike auf, sagte Kronhardt dazu, und in der Art des Jungen genoß der Alte das Bild von sich selber; sein Wissen und seine Fähigkeiten, aber auch sein Schnippen und Bellen gegen die Frauen, die die Maschinen bedienten.
    Willem fand es seltsam, daß sie Kronhardt noch gegen den Lärm verstanden. Doch später fand er heraus, daß Bellen und Schnippen nicht mehr waren als ein Befehl zum Nicken, und wenn Kronhardt es nicht sah, grinsten die Frauen oder steckten Willem einen Bonbon zu.
    So stolzierte Kronhardt, und unter den Emailleschirmen umflirrten die Partikel seinen Kopf. Er saugte das Rattern auf, das Stakkato der Jahrestage, und wenn er bei den Frauen die erwarteten Reaktionen auslöste, blickte er wie ein Dressurmeister. Ein Mann, der mit den profanen Entwicklungsstufen dieser Stickerinnen nichts zu tun hatte. Nichtwahr, mit ihrem Lebensantrieb aus Klatsch und zielloser Zerstreuung, ihrer Sucht nach Kaffee und Zigaretten und natürlich ihrer Fruchtbarkeit – diesem kokkenhaften Vermehrungspotential, dachte Kronhardt, das sich negativ auf die Produktivität auswirkte. Belastbarkeitsgrenzen, Mutterschutz, Einarbeitung einer Vertretung, das waren Faktoren, die er handhaben mußte, das waren übergeordnete, geistige Akte, die jenseits dieser Frauen standen und ihrer tierhaften Männer.
    Und gar nicht auszudenken, dachte Kronhardt, wie einem diese Unterart vollends entgleiten könnte, wenn sie erst von den schrecklichen Ideen

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