Kronhardt
erfaÃt würde, die neuerdings an den Hochschulen aufkeimten. Wenn diese schrecklichen Intellektuellen mit ihrem Kommunismus und ihrem Recht auf Selbstbestimmung auch den Geist seiner Arbeiterinnen zersetzten. Das müsse man sich mal vorstellen: Da beriefen sich diese Intellektuellen auf deutschen Boden und deutschen Geist, da standen sie auf ihrem Katheder und spritzten ihr Gift in die jungen Köpfe. In unser Erbe, dachte er, in unsere Zukunft, Gift, mitten ins deutsche Hirn, und so keimte aus den Hochschulen heraus bereits die Volksseuche. Und von ihren Kathedern sprachen sie den Frauen ein Recht zu auf eigene Sexualität; nichtwahr, auf eigene Phantasien und Masturbation, und die Zeiten der automatischen Bereitstellung des deutschen Elitenachwuchses müÃten ein Ende haben. Und um es noch schlimmer zu machen, schien ausgerechnet das deutsche Rückgrat bereits von diesen Ideen aufgeweicht; mindestens Teile der Industrie schienen diesen Umsturz der Intellektuellen zu unterstützen, installierten auf hinterhältige Weise dieses entartete Verlangen und fütterten den Markt mit sexuellen Devotionalien für die Frau. Und sogar die Jugend erfuhr heutzutage von dem verdeckten, nichtsdestoweniger blühenden Handel mit elektrisch betriebenen Schwingungserzeugern, die in ihrer Form â nun, er mochte es kaum denken â einen versteiften Penis imitierten.
So also keimten und verzweigten diese Ideen, und die deutsche Industrie unterwanderte bereits die deutsche Moral, und das Feld für Ausweitung schien endlos; immer schlüpfrigere Hygieneartikel für die Frau wurden annonciert und perfide Methoden der Empfängnisverhütung â nichtwahr: chemisch ausgelöste Blockaden gegen die Ausschüttungen der Eierstock- oder Hirndrüsen, für Kronhardt ganz entschieden ein Unterartenklima, das womöglich dazu taugen mochte, die Masse zu lenken, jedoch niemals auf den gesamten Volkskörper übergreifen durfte. Wenn man da nicht gegensteuere, meinte er, könne nicht nur der Mittelstand erkranken, das gesunde Bürgertum und zuletzt die GroÃindustrie selber â nein: der deutsche Kopf an sich, diese einzigartige Funktionalität, müsse unter dem Einfluà solch künstlich erschaffener Präparate kollabieren, und so wirke das intellektuelle Gift bereits beängstigend in die Zukunft des Landes.
Diese verfluchten Intellektuellen, dachte Kronhardt. Und er bellte gegen die Frauen an den Maschinen. Diese verfluchten Nihilisten, die das Land zum Nährboden machten für maÃlose Freiheit. So bellte er und schnappte gegen die Arbeiterinnen, und letztes Jahr hatten sie bereits die Schamlosigkeit besessen, mit nichts als einem Büstenhalter unter ihrem Kittel zu erscheinen; tierhafte Körper unter dem nur nachlässig gestärkten Stoff, und auch die sichtbare Buschigkeit ihrer Achselhaare störte ihn. Diese Zeichen ihrer profanen Wesen, dachte er, und dann streichelte er über Willems Kopf und war stolz, dieser abnormen Welt entgegenzusteuern. Jawohl, dachte er, mit geistigem Akt, und Willems kleiner Kopf lag in seiner Hand wie ein wunderbarer Rohling.
Die letzte Etappe war immer das Glasbüro des Stickmeisters.
Der Mann hieà Anton Hultschinek. Sein rechtes Knie funktionierte nicht mehr, so daà sein Gang eine groteske Dynamik bekam, die durch den Schwung der Arme noch verstärkt wurde. Wenn der Stickmeister in seiner ungelenken Art durch die Reihen der Maschinen zog und dabei unerwartet zielstrebig und schnell wurde, machte das auf Willem einen geisterhaften Eindruck; als triebe der tote GroÃvater in Lebendigkeit aus, doch tatsächlich war Hultschinek gegen Willem immer freundlich. Er hatte stets eine Limo für ihn und holte die Blechschachtel mit dem Gebäck seiner Frau hervor.
Sein Büro schien wie ein Turm über der Produktion, und in den Fensterquadraten konnte man die Arbeiterinnen sehen. Es gab keinen toten Winkel, und Willem spürte jedesmal Beklemmung. Die Quadrate zerschnitten die Arbeitsplätze in kleine Einheiten, machten noch gegen das Rattern jede Heimlichkeit sichtbar und lieÃen keinen Raum mehr. Manchmal war er unsicher, ob seine Mutter nicht jederzeit in so einem Turm stehen konnte, um auch ihn auf dem Schulklo oder sonstwo zu beobachten.
Kronhardt hielt den Blick des Jungen für Begeisterung, und er stellte sich gern dazu. Schau mal, sagte er dann, Nummer siebzehn, ein FadenriÃ. Oder: Wer ist das auf
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