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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Kamera surrte dazu. Einmal setzte Dieter noch ein Teleobjektiv auf, er rief, go, baby, brachte einen ganzen Film durch, und dann klatschte er zur Pause. Er wischte sich Schweiß aus dem Gesicht und lächelte den Jungs zu. Alles klar? sagte er.
    Willem sagte: Warum nicht. Die Welt ist schön.
    Dieter lachte und legte neue Filme in die Kameras.
    Schlosser sagte: Eine Faust durch den Arsch bis ins Hirn. Und als Krone diese gewundene Scheiße.
    Dieter sagte: Das ist aber keine schöne Welt.
    Wär aber n Schuß ohne Worte.
    Diese experimentellen Sachen überlaß ich anderen. Dann stand er auf und klatschte. Komm, Kleines. Noch eine Runde.
    Gisela saß auf einem weißen Flokati, und auf der Wand hinter ihr hing groß gerahmt eine in Pop-art kolorierte Lotosblüte. Sie steckte einen Joint an, und Dieter hantierte mit dem Tele. Dann justierte er einen Reflektorschirm und hängte sich beide Kameras um. Der Ausstoß, Kleines. Ich brauch den Ausstoß – gut so, laß ihn fließen, laß ihn aufbrechen –, komm schon, die Sonne explodiert! Und jetzt die Tüte. Komm schon, die dicke, fette Tüte, Kleines. Go, baby! Du brennst ihnen ihre Religion aus dem Hirn, komm schon, laß es glühen! Und Dieter kniete vor ihr, Dieter lag vor ihr, und der Kameramotor surrte. Dann klatschte er und wischte sich Schweiß von der Stirn. Spitze, Gisela.
    Sie lächelte, sagte aber nichts.
    Dieter packte seine Sachen zusammen.
    Willem sagte: Und du machst keine experimentellen Sachen?
    Ich will action. Ich suche den Ausdruck, verstehst du?
    Und deine Gefickte Religion. Was drückt die aus?
    Den Riß. Verstehst du?
    Willem verstand nicht.
    Dieter verdrehte die Augen. Ich reiße sie auf und stoße rein. Tief in den Gestank, und von dort lasse ich es keimen.
    Klingt für mich ziemlich experimentell.
    Er verdrehte wieder die Augen. Zu Gisela sagte er: Wir sehn uns, Kleines. Dann winkte er, hängte seine Tasche über und verschwand.
    Gisela sah die Jungs an. Keiner von beiden sagte etwas.
    Ich hab Hunger, sagte Gisela schließlich.
    Die Jungs folgten ihr in die Kommunenküche. Ein großer Raum mit einer bleiverglasten Wand. Die Möbel waren größtenteils Einzelstücke, die zusammen eine gemütliche Atmosphäre erschufen. Auf dem Sofa saß ein Typ. Er hatte einen Kopf mit weit auseinanderstehenden Schläfen und einer hervorspringenden Stirn. Er trug eine Kastenbrille mit dicken Gläsern. Er hatte einen Stapel Papiere vor sich, las, machte sich Notizen und schien dabei Büchsenfleisch zu löffeln. Dann sah er auf. Alles klar? sagte er zu Schlosser. Und zu Willem: Kommst du auch aus Bremen? Studierst du?
    Gisela sagte: Hör auf zu fragen, Stirner.
    Doch Stirner fragte weiter. Was studierst du denn? Uni Bremen? Sind das wirklich alles Marxisten?
    Willem sah diesen Stirner an und sagte nichts.
    Was ist los? Sprichst du nicht mit mir? Seine Augen hinter den dicken Gläsern flackerten.
    Gisela sagte: Willst du was mitessen?
    Was gibt es denn?
    Stampfkartoffeln mit Spiegelei.
    Nee.
    Dann stand er auf, nahm seine Sachen und ging.
    Wohnt der hier?
    Schlosser nickte.
    Willem sagte: Ich weiß echt nicht, ob ich ein guter Kommunarde wäre.
    Die Jungs lachten.
    Gisela sagte: Komm du erst mal von deinen Alten los. Dann kannst du vielleicht mitreden.
    Willem sagte: Go, baby!, und dann lachten sie alle.
    Die Küche war erstaunlich sauber und gut sortiert. Schlosser erzählte von den Zwillingen und seinem Vater, Gisela hatte schon ein paarmal mit ihrer Mutter telefoniert. Die Mutter klopfte dabei auf die Muschel, einmal bedeutete ja, zweimal nein, doch Gisela fand es mühselig. Willem schälte Kartoffeln, und ihm gefiel die Küche. Ein wohnlicher Raum, und er überlegte, daß so eine gemütliche Kommunenküche womöglich nicht selbstverständlich war; daß so eine Gemeinschaft ganz andere Anforderungen an den einzelnen stellte als eine Junggesellenbude.
    Die Teller hatten unterschiedliche Motive, und auch das Besteck gehörte nicht zusammen. Eine große Pfeffermühle stand auf dem Tisch, zum Essen brannte ein Kandelaber, und aus dem Röhrenradio lief Miles Davis, eines von den Bitches-Brew-Stücken.
    Nach dem Essen sank Gisela ins Sofa und rauchte.
    Die Jungs wuschen ab.
    Später kam das Mädchen mit den zwei Gipsarmen. Sie hieß Astrid, und als Willem nach ihren Armen fragte, sagte sie: Die Bullen. Ganz spektakulärer Kampf.

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