Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
Helene? Wir sind nicht mal kleine Fische, da ziehen die nicht solche Register.
    Na klar, sagte Schlosser. Aber absolut sicher können wir uns nicht sein.
    Da hast du wohl recht.
    All der Schwachsinn.
    All der Schwachsinn, und dann verstiegen sie sich wieder in die seltsamen Blickwinkel ihrer Mitmenschen, hackten, sezierten, lachten, und so rollten sie gegen Berlin. Gegen das Herz dieser Doppelrepublik und durch eine Welt, die ihnen erschien, als sei sie seltsam verschmiert aus der Geschichte hervorgebracht.
    Willem lenkte entspannt und hielt sich an die Verkehrsvorschriften. Manchmal lauerte ein Lada hinter einem Gebüsch, doch der Käfer schien nicht weiter zu interessieren.
    Nach halber Strecke hielten sie an einem Autohof. Nur zwei oder drei Tische waren besetzt, aber der Kellner führte sie durch den ganzen Saal. Sie saßen wie ausgesondert und lasen die Karte. Anscheinend aßen sie gut und deftig in der DDR , und Willem konnte sich nicht entscheiden. Doch als der Kellner mit dem Block am Tisch stand, notierte er ihre Bestellung, bevor die Jungs etwas sagten. Es gebe nur Fleisch mit Sättigungsbeilage, meinte er.
    Besteck und Geschirr waren erstaunlich leicht, das Essen lau und zerkocht. Sie kauten und spürten die Blicke. Wenn sie aufsahen, erschienen Kellner und Gäste leblos zwischen den bunten Plastikmöbeln. Doch sobald sie sich über ihre Teller beugten, spürten sie wieder die Blicke.
    Der Kaffee war braunes Wasser, und als die Rechnung kam, gab Willem Trinkgeld. Das Gesicht des Kellners blieb steif.
    Draußen ging ein Mann um den Käfer; betrachtete den Gepäckträger mit der Persenning, und dann fokussierte er die Jungs.
    Sie grüßten, der Mann nickte stumm zurück und ging auf den Eingang zu.
    Der Kellner hielt dem Mann die Tür auf. Genosse Major!
    Irgendwo bei Wollin hatten sie die Vopo im Nacken. Plötzlich standen zwei uniformierte Köpfe im Rückspiegel, und über dreiundzwanzig Kilometer blieben sie dort wie eingebrannt. Hinter dem Abzweig Wusterwitz waren sie ebenso plötzlich wieder verschwunden; der Rückspiegel leer, als hätten die Köpfe dort nie gestanden.
    So streifte der Käfer das Havelland. Vierzylinder-Ottomotor, das solide Blech rot lackiert und dazu ein paar Chromelemente. Aus dem Radio sozialistische Schlager und russische Militärkompositionen. Sie freuten sich am Klang der Reifen und den Schlägen von der Fahrbahn. Aus den Ortsnamen klang trotz der gleichen Sprache eine andere Verwurzelung heraus, und auf große Blechtafeln waren Erfahrungen und erfüllte Wünsche ganzer Kollektive gemalt; der gemeinsame Wille ein glühender Rohstoff, aus dem sich alles Vorwärts schmieden ließ. Abseits standen die graubraunen Gehöfte, und wenn der Käfer ein Trabant-Fahrzeug überholte, trafen sich die Blicke. Einmal sahen sie ein Mädchen, und Schlosser winkte ihm zu. Die Kleine winkte zurück, doch dann griff eine Frau nach ihrer Hand.
    Das geteilte Deutschland, meinten die Jungs, sei eine seltsame Sache. Und für einen außenstehenden Betrachter womöglich ein Glücksfall; die Einigkeit und Verwurzelung in derselben Geschichte, meinten sie, und plötzlich diese Spaltung. Eine neue Doktrin hier, eine neue da, und schon hatte man zwei geschlossene Systeme, die sich aus derselben Voraussetzung in verschiedener Geschwindigkeit und in unterschiedliche Richtungen entwickelten. Für einen außenstehenden Betrachter, meinten sie, müsse das eine Deutschland doch wie eine verzerrte Parallelgalaxis des anderen wirken.
    So zog der Käfer Richtung Berlin, und die Jungs fühlten sich verkapselt wie in einer Zeitblase. Wenn sie ein Trabant-Fahrzeug überholten, trafen sich die Blicke; sie stellten Mutmaßungen an über die Vorgänge in jener deutschen Außenwelt, sie konstruierten Nischen, und so stellten sie sich die Ostdeutschen zuletzt als glückliche Menschen vor.
    Schlosser drehte RIAS ins Radio, und irgendwann stieß vom Horizont Moor gegen den Transit. In wechselndem Braun durchwanden Schlenken die hohen Moospolster, und die Kolke waren schwarze Augen unterm wolkenlosen Himmel. In einer Brise zerstäubte das Licht zwischen den Gräsern und verschob sich in flirrendes Rot, wo Kolonien von Binsen oder Segge standen. Zwischendurch Schwarzerlen oder Birken und ockerfarbene Flecken, von denen Kraniche aufstiegen. Sie kurbelten die Fenster herunter, doch der Fahrtwind dröhnte

Weitere Kostenlose Bücher