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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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gegen die trompetenden Rufe der Vögel. So zogen die schönen Bilder vorüber wie der Moment von einem Fahrzeug ins andere, und die Jungs konnten nicht sagen, wie eng der Blick für so eine Schönheit stets an die eigene Freiheit gekoppelt blieb. Vielleicht, meinten sie, schärfe die Unfreiheit der Ostdeutschen sogar ihren Blick für die Schönheit im eigenen Land. Und vielleicht war diese Unfreiheit auch gar keine Unfreiheit. Sie wußten es nicht.
    Dann tauchten die russischen Kasernen auf. Panzerdraht und Schilder mit kyrillischen Buchstaben; Peitschenlampen formten eine Allee, Laster patrouillierten. Gestelle mit angespitzten Stäben lagen parat, und einmal sahen sie einen Russen. Er trug ein Gewehr, und sein Kopf wirkte geschrumpft unter der mächtigen Mütze.
    Am Kontrollpunkt stellte Willem den Motor ab und drehte das Radio leise.
    Er meinte, die DDR -Mützen müßten auf jeden Fall kleiner sein als die der Russen. Dennoch bedeckten die Lackschirme das halbe Gesicht, und so machte die Vopo ihren Gang; klopfte, leuchtete, spiegelte. Gab Befehl, fast ohne zu sprechen, ließ die Persenning abziehen, ließ sich Kisten vorholen, und später verglich sie minutenlang Gesichter und Paßphotos. Dabei konnten die Jungs sehen, wie hinter dem Panzerglas geblättert wurde oder telefoniert, und als die Polizisten zurückkamen, schlugen sie die Papiere in ihre Handschuhe, wippten auf den Absätzen und sagten: Die Musicke! Willem hob die Schultern. Im Radio lief ein Stück von den Doors, und er stellte es aus.
    Auf der anderen Seite drehten sie das Radio wieder an, und es war immer noch RIAS , und auch die Doors liefen noch. Der Anfang im Osten, das Ende im Westen. Oder umgekehrt, meinten die Jungs.
    Willem spürte auf Anhieb, daß Berlin eine große Stadt war, auch wenn Schlosser den Käfer eine Zeitlang am Grunewald entlangdirigierte. Doch noch durch das nahe Grün konnte Willem den Puls spüren; die Straßen, die Häuser, alles war ganz anders dimensioniert, als er es aus Bremen kannte. In Charlottenburg zogen sie auf den Kurfürstendamm Richtung Tiergarten; sie sahen Paare in Flanierkleidern, Touristen, Hippies mit Gitarren, und von überall spürte Willem das Pulsieren. Als trieben Panzerdraht und kyrillische Buchstaben, als triebe noch die Mauer Synkopen in diese Sektoren.
    Als sie hinter einem Bierwagen halten mußten, schrammten auf der Nebenspur zwei Autos aneinander. Ein Fiat und ein Opel Admiral, und wie es aussah, gab es nur ein bißchen Lackschaden. Doch die Frau aus dem Fiat schien aufgebracht. Sie faßte sich an die Stirn, sie zeigte auf den Fiat und zog den Admiralfahrer schließlich zu ihrem Wagen. Die Frau trug Minirock und hohe Stiefel, der Mann war klein und dick, in Anzug und mit Hut. Aus dem Käfer heraus beobachteten die Jungs, wie heimlich ein zweiter Mann in den Admiral glitt. Am Fiat nahm die Frau eine Karte des kleinen Mannes entgegen, dann hob sie die Schultern, und die beiden verabschiedeten sich. Der Admiral rollte zuerst an. Der Fiat hängte sich bald dahinter.
    Sieht aus wie eine Entführung vom Bankdirektor.
    Und wenn es eine ist?
    Oder eine Agentennummer.
    Willem umkurvte den Bierwagen und gab Gas.
    In einer Querstraße blieben sie hinter der Müllabfuhr hängen. Die Jungs sahen den zweiten Mann im Admiral; er saß hinten. Die Frau im Fiat hupte. Dann langte der zweite Mann ins Lenkrad und hupte ebenfalls. Voran die Müllkutscher kümmerten sich nicht darum; sie sprangen vom Bock und wieder auf, und als der Opel freikam, zog er Fiat und Käfer mit. So fuhren sie über Chausseen und durch Nebenstraßen, bogen links ab, bogen rechts ab, die Jungs im Käfer und vor ihnen der Bankdirektor und seine Entführer – vor ihnen Alltag in der Hauptstadt der Agenten.
    Bald stießen sie ein in dunkle Schluchten von Mietskasernen, der Admiral blinkte, rollte in eine Querstraße und hielt die reduzierte Geschwindigkeit. Auf den Bürgersteigen standen Auslagen mit Trödel oder Büchern, in den Torbögen konnten die Jungs die Tafeln der Hinterhofwerkstätten lesen. Putz war aus den grauen Mauern gebröckelt, die Fallrohre hingen lose vor spakigen Wänden. Der Admiral stoppte schließlich. Der zweite Mann stieg sofort aus, ging zum Fiat und stieg ein. Die Frau zog am Admiral vorbei, und der Fiat verschwand.
    Die Jungs sahen einander an. Im Admiral konnten sie nur den Kopf des kleinen

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