Kronhardt
SaÃen auf einer Werkbank; tranken ein biÃchen, kifften ein biÃchen und blieben wach. Wenn sich ein paar Typen zu ihnen gesellten, wirkten sie arglos und trafen schnell den Ton. Egal, ob Künstler oder Rotarmisten, meist gelang es ihnen unbemerkt, den Standpunkt der anderen auszuhebeln; sie gaben sich locker, hip und tauchten ein in die Dynamik der Sache. Und im Plauderton oder hinter angesagter Dialektik steigerten sie diese Sache noch und trieben sie zu einer Vollkommenheit, die nur von wenigen erfaÃt werden konnte. Die meisten Typen nahmen das persönlich und gaben sich selbstzufrieden und lässig. Und sobald sie wieder abzogen, sahen die Jungs einander an. Hoben hilflos die Arme und grinsten zuletzt. Diese groÃe Sache der anderen war ein seltsames Ding; unscharf und sprunghaft, ein Schlachtruf, ein Dogma, offen für alles und alles vereinigend. Buddha oder Rotstern, Springer, Beuys oder Anthropologie, es blieb egal. Am Ende kam immer wieder die gleiche Formel auf den Tisch, und jeder kämpfte dafür, bloà kein SpieÃer zu sein. Eine Art politisches Bekenntnis und eine kollektive Verweigerung, die vor allem dort ihre Blüten trieb, wo die Schnittmenge mit den Alten unvermeidlich war. Und so gehörte eine Art progressiver Verwilderung zur Tagesordnung, und wenn die Jungs von der Werkbank aus plauderten und lachten, wurden rings die Konventionen der Alten radikal gebrochen. Dämmerlicht fiel durchs Sägedach, Verstärker knackten, und im Feuerschein der Küchenhexe zogen die Gestalten. Mit ihren Haaren und Bärten, mit ihrer angesagten Dialektik und ihren Brüsten. Sex und Frieden und Sex und Terror und Sex und Karma, es gab für jeden etwas â eine Art progressiver Verwilderung, wie gesagt, und Willem kam wieder darauf, daà es auch hier nicht anders funktionierte als in der Kellerbar seiner Alten. Egal, wie anders sich all die Kommunarden auch gaben, egal, wie radikal sie sich der Sache verschrieben, die Mechanismen, die ein Wir-Gefühl, die noch System im Antisystem hervorbrachten, blieben die gleichen. Und offenbarten so auch schon die nächste Schnittmenge mit den Alten, und am Ende kam niemand aus dieser Nummer heraus.
So plauderten sie auf der Werkbank. Der Mann, der in Woodstock gewesen war, kam regelmäÃig vorbei und erzählte von Woodstock, jemand hatte mit Gudrun Ensslin geschlafen, jemand hatte Visionen und zuckte sich bald die Kleider vom Leib.
Von der Werkbank aus mutmaÃten die Jungs über die Stellung des Menschen in der Welt. Sie konnten nicht sagen, ob der Mensch mehr darstellte als die Schistocerca oder die Beutelwölfe, oder ob er in einer kosmischen Ãberordnung nicht ebenso verschwindend erscheinen muÃte wie sie.
Was den Menschen schwierig machte, war sein Gehirn. Es sicherte ein Ãberleben jenseits der Wildnisgesetze und war anscheinend in der Lage, jedes Verhalten so zu rechtfertigen, daà es ihm eine übergeordnete Stellung sicherte. Doch die Jungs meinten, daà zuletzt auch dieses Gehirn um nichts auÃergewöhnlicher war als alles andere, was das Universum hervorbrachte. Aber sie trafen kaum jemanden, der das ähnlich sah. Jeder schien gerade sich selbst für einzigartig zu halten, und kaum einer dachte darüber nach, wodurch diese so unerschütterliche Ãberzeugung entstand. Ob es eine Art wechselwirkender Kollektivrausch war, der die Schöpfungen der Menschheit jederzeit zu etwas Persönlichem machte. Ob diese Vorgänge hermetisch abliefen, eine feste Chemie unter dem Schädel, oder ob das Gehirn womöglich von vornherein auf Täuschung ausgelegt war und ständig die Vorstellung eines einzigartigen Ichs hervorbrachte, die Vorstellung davon, frei zu sein und alles denken zu können, während es in Wirklichkeit ganz simpel eingebunden war in kosmische Ãberordnung, so daà irgendwo dort und nicht im eigenen Oberstübchen das Kontrollzentrum lag. Wenn es denn dort überhaupt so etwas wie Kontrolle gab. Denn Kontrolle an sich, meinten sie, war womöglich doch nichts weiter als eine menschliche Erfindung, und vielleicht waren sogar Ego und Wirklichkeit eine menschliche Erfindung, so daà die Jungs zuletzt ihre eigenen MutmaÃungen in Frage stellen konnten. Alle Sicherheit im eigenen Oberstübchen und allen Drang, überall nach Sinn und Erklärung zu suchen.
So saÃen sie auf der Werkbank und konnten sich an ihrer eigenen Unsicherheit erfreuen. So
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