Kronhardt
Fladen und bià in uraltes Feuer; in heiÃe Erdigkeit, und so lief es ihm am Kinn hinab. Seine Poren öffneten sich, die Erdigkeit berauschte ihn. Marisol kam aus der Neuen Welt, und plötzlich hatte der Kampf, hatte die Sache ein anderes Gesicht. Er wischte sich den Schweià von der Stirn und betrachtete Marisol. Ihre angeschrägten Lidschlitze, die vorgeschobenen Jochbeine und ihr blaues Haar.
Willem klopfte bei Gisela, und Schlosser öffnete. Er trug ein verwaschenes Hemd über der Hose. Willem sah, daà die beiden sich wieder gestritten hatten. Schlosser hob die Schultern, dann grinste er.
Neben Gisela saà ein unscheinbarer Typ. Er hieà Helmut. Sie plauderten ein biÃchen, dann stand Gisela auf und ging.
Schlosser holte eine Flasche Wein; Helmut war still und zurückhaltend, doch er schien offen für alles und konnte andere Gedankengänge schnell aufgreifen und modifizieren. Er blieb nicht lange und hinterlieà einen angenehmen Eindruck bei Willem.
Schlosser sagte, Helmut sei ein Einzelgänger. Absolut kein typischer Kommunarde, und manchmal gebe es Diskussionen, ob ein so radikal betriebenes AuÃenseitertum nicht die Substanz einer Kommune an sich zersetze. Ob volksnahe Wörter wie asozial oder Schädling auf Helmut und das Kommunenmodell angewandt einen neuen, tieferen Sinn erfuhren, und wenn ja, welche vertretbaren Konsequenzen sich daraus ergeben konnten. Helmut selber wollte nicht mehr und nicht weniger als das Recht, nach seiner Art leben zu können. Manchmal bleibe er tagelang in seinem Zimmer, lese und höre Symphonien. Doch Helmut mache mehr. Während andere sich in Dogmen steigerten und Mozart, Beethoven oder Brahms mit dem Establishment gleichsetzten, gehe Helmut dem Establishment ans Leder. Er seziere durch Haut und Knochen bis in die Eingeweide. Er halte Herzen hoch und aufgesägte Schädel und entblöÃe das System bis in die Fäkalien. Helmut sei eine Art Sponti, doch tatsächlich seien noch seine spektakulärsten Aktionen immer gut durchdacht und könnten nur gelingen, weil er sich täglich darin übe, einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber das wisse in der Kommune niemand. Höchstens noch Abeba.
Von der Pritsche sah Willem den Mond; kaum noch eine halbe Kugel, doch sein Licht stieà mühelos durch die Kastanie, und die Schatten in der Kammer waren scharf geschnitten.
Die Welt schien plötzlich entfesselt. Und er muÃte lernen, damit umzugehen.
Für Neuigkeiten existierten Grenze und Todesstreifen nicht, und sie gelangten schneller in die Kommune, als die Polizei erlaubte. Ein Banküberfall in Bremen, kaum eine Stunde her, und nicht mal im Radio hatten sie bisher darüber berichtet. In der Halle aber sprachen sie von nichts anderem.
Alles war wie am Schnürchen gelaufen, alles perfekt geplant gewesen; der Fluchtwagen vor drei Wochen in Mannheim gestohlen, ein Bonzen- BMW , und die Maschinenpistolen kamen vom spektakulären Bruch in die Kaserne bei Leer. Und heute mittag waren sie eiskalt durch die FuÃgängerzone gerollt, vorbei an Stadtmusikanten und Roland, die Waffen im SchoÃ. Sie waren zu dritt, zwei Frauen und ein Mann, und sie waren in die Bank marschiert, als hätten sie so was tausendmal in der Wüste trainiert. Von Anfang an hatten sie mit ihrer Körpersprache und den knappen Befehlen die Situation im Griff gehabt; sie stülpten die Wirklichkeit dieser Bankmenschen um, sie verwandelten die Kapitalisten in Verbrecher und gaben zwei FeuerstöÃe ab. So war alles wie am Schnürchen gelaufen, eine halbe Million, und drauÃen waren sie seelenruhig in den Bonzenwagen gestiegen und verschwunden.
Zusammen mit solchen Neuigkeiten tauchte in der Kommune meist irgendein Besatzerschnaps auf; Musiker koppelten ihre Gitarren, Künstler schrien ins Mikro, und wenn die nächste Besatzerfuhre eintraf, lief die Party schon auf vollen Touren.
In der Nacht vom Banküberfall gab es Absinth. Ein Bursche hatte einen ganzen Karton dabei; er stemmte den Karton, er pries den Stoff an, und dann stieg er zu Willem und Schlosser auf die Werkbank. Er trug einen Hut, eine Onassis-Sonnenbrille und einen langen Mantel; es sah aus wie eine Verkleidung, und Willem meinte, dahinter Helmut zu erkennen. Die Stimme des Burschen klang heiser. Der Bankraub in Bremen, rief er.
Und in der Halle brüllten sie hurra und forderten den Absinth.
Doch der Bursche fing den Lärm, und dann machte er weiter.
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