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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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War dieser Bankraub wirklich Anlaß zu Hurragebrüll? Oder war er nicht eher ein Zerrbild des staatsgemachten Alptraums?
    Und in der Halle buhten sie und pfiffen, forderten den Absinth.
    Der Bursche lachte heiser, jemand richtete einen Strahler aus, und er stand auf der Werkbank wie auf einer Bühne. Dieser Alptraum, rief er, ist die programmierte Entmenschlichung, und noch in der blökenden Kommunenmoral steckt der Staatswolf. Zum Teufel! Es hat zwei Tote gegeben, eine Mutter und einen Vater, und wer kann sagen, ob diese beiden nicht den Kern zu einer besseren Welt in sich getragen haben. Hurra, rief er, wir sind entmenschlicht! Und halten uns für Teufelskerle, wenn wir uns nehmen, was wir im Grunde unserer Seele verachten sollten. Nein! rief der Bursche. Nicht wir haben Grund zu feiern, sondern die anderen. Der Staat, die Kapitalisten, die Funktionäre. Nicht wir haben sie bekehrt, sondern sie haben uns bekehrt, und mit dem Banküberfall und unserem Hurragebrüll offenbaren wir unsere innerste Wandlung. Wir sind wie sie! rief der Bursche. Haben ihr System, ihren Alptraum, ihre Krankheit in uns. Auch wir haben uns in Unmenschen verwandelt, auch wir kopieren den Terror und legen uns zur Rechtfertigung Ideologien zu. Hurra! Hurra! Hurra! Wir funktionieren nach staatsgemachtem Programm. Sind entmenschlicht und offenbaren, daß es keine Revolution und keinen Terror gegen den Terror gibt, weil der Staatswolf längst in jedem Pelz steckt. Hurra! Hurra! Hurra!
    Sie buhten, sie pfiffen, sie forderten den Kopf von dem Burschen.
    Doch der Bursche fing den Lärm, fing die Erregungen. Und so stand er im Licht des Strahlers, mit Mantel, Hut und Brille. Er lachte heiser und riß den Karton auf. Absinth! rief er und warf die erste Flasche. Freiheit! rief er, Dogma! rief er, und dann stand Willem auf, langte in den Karton und rief: Auf die grandiosen Schlachtfeste! Auf die kannibalischen Heldentaten! Auf unser wunderbares Ich!, und neben ihm der Bursche lachte, öffnete eine Flasche und schüttete Absinth über seinen langen Mantel. Riß ein Streichholz an und stand bald in blauen Flammen. Und die kleinen Flammen tropften, und er saugte sie in einen Strohhalm, und mit blauem Feuer in der Kehle schrie er: Hurra! Hurra! Hurra!
    In Giselas Zimmer war es laut; Stimmen und Lachen, und Willem entschied, daß er nicht zu klopfen brauchte. Als er eintrat, war die Luft warm und verraucht. Er begrüßte Gisela und Schlosser, holte sich ein Glas mit Leitungswasser und lehnte sich gegen die Fensterbank. Die meisten Leute hatte er schon mal gesehen. Eine Dicke mit kurzem Haar und Palästinensertuch war ihm neu. Sie hatte eine durchdringende Stimme, und er hörte schnell heraus, daß sie auch in der Kommune wohnte. Sie hieß Reinhild. Neben ihr saß Dieter, der 175 er-Mann, und ohne Kamera wirkte er beinah unvollständig.
    Die dicke Reinhild sagte: Deine Gefickte Religion ist Kommerz, und Andy Warhol ist besser als du.
    Das macht mir gar nichts. Und er lächelte charmant.
    Stirner saß neben den beiden. Er unterhielt sich mit einer Hippiefrau, die eigentlich Maria-Johanna hieß, sich nun aber englisch aussprechen ließ. Willem sah, daß Stirner sich Notizen machte. In einer Ecke erkannte er Helmut, Abeba und Astrid, das Mädchen mit den zwei Gipsarmen.
    Reinhild sagte: Das glaube ich dir nicht!
    Und Dieter warf ihr eine Kußhand zu.
    Stirner sagte: Und woran erkennt man diese katholischen Enklaven?
    Mary-Jane machte ein Gesicht. Dann flüsterte sie ihm etwas ins Ohr, und plötzlich machte auch Stirner ein Gesicht. Dann notierte er etwas, dann knickte sein Kopf zur Seite, er warf eine Pille ein und rückte näher an die Hippiefrau.
    Der Mann, der in Woodstock gewesen war, stellte sich zu Willem. Ich hab Jimi gesehn, sagte er.
    Willem lachte und umarmte den Mann.
    Dieter sagte: Go, baby!
    Und jetzt warf die dicke Reinhild ihm eine Kußhand zu.
    Willem sagte: Ich geh mal zu Astrid rüber.
    Der Mann hob eine Hand. Wir sehn uns.
    Klar, Mann.
    Er begrüßte sie zuerst, und Astrid lächelte. Auch Abeba und Helmut lächelten. Willem setzte sich zu ihnen.
    Astrid sagte: Das auf der Werkbank war ja ne Nummer. Du warst gut.
    Abeba und Helmut lachten.
    Stirner hat sich das gleich notiert, sagte Astrid: Grandiose Schlachtfeste und kannibalische Heldentaten.
    Abeba sagte: Du hast das korrekt rübergebracht, Mann.
    Und sie sahen ihn an, als wäre er der Typ mit Mantel und

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