Kronhardt
Onassis-Brille.
Willem hob die Schultern. Ich bin es eher gewohnt, die Erwartungen der anderen nicht zu erfüllen. Und jetzt so was.
Die anderen lachten.
So saÃen sie. Entwarfen Theorien zu den subtileren Methoden des Systems, diskutierten den Staatswolf und seine Wirkungen auf Veranlagungen im menschlichen Gehirn, und auch Helmut, der Einzelgänger, war durchaus gesprächig. Es war eine angenehme Runde, Abeba saà barfuÃ, und Willem sah, daà seine Sohlen gefurcht waren und ähnlich hell wie die Handflächen. Astrid wollte etwas zu trinken haben, und Willem hielt ihr ein Glas hin. Er stellte sich vor, sie zu waschen, und dann fragte er sie, wo sie gewöhnlich von acht bis sechzehn Uhr ihre SpieÃigkeit verbrachte. Sie sei tatsächlich ein Büromensch, sagte sie, und als Willem weiterfragte, meinte sie, übersetzen und manchmal auch dolmetschen. Mehr sagte sie aber nicht. Willem glaubte nicht, daà sie sich auf diese Art wichtig machen wollte; es war ihre Privatsache, und selbst wenn sie im Politischen übersetzte und dolmetschte, war das womöglich ein Thema, über das man in der Kommune nicht plauderte.
Als Abeba ein Pfeifchen herumgehen lieÃ, setzte sich der Mann, der in Woodstock gewesen war, zu ihnen. Er saugte die letzte Glut, und dann erzählte er. Daà in Woodstock viel Energie gewesen sei und er eine Zeitlang schon das Gefühl gehabt habe, das gehe voll in eine Richtung. Doch in Wirklichkeit sei Woodstock unterwandert gewesen, und es habe jede Menge verkappter Hippies gegeben, die den SpieÃern und Kriegstreibern in die Hände gespielt hätten, indem sie der Nation die wahre Liebe dieser Woodstock-Kinder auftischten: Drogenexzesse, Orgasmusszenen und tiefroten Kommunismus.
Abeba sagte, er habe etwas ganz anderes über Woodstock gehört, und der Mann, der dortgewesen war, meinte, na klar, jeder höre etwas anderes, und auch da steckten die Konspiranten hinter, weil sie überall Gerüchte streuten, um die Wahrheit zu verschleiern. Woodstock, sagte er, sei überall, doch die wenigsten hätten das begriffen.
Willem rollte seinen Schlafsack zusammen und blickte noch einmal durch das kleine Fenster.
In der Küche roch es bereits nach Kaffee, und der Tisch war gedeckt. Schlosser sah übernächtigt aus, doch er grinste. Sie aÃen in Ruhe, ohne viel zu sprechen. Dann kam die dicke Reinhild herein. Sie hatte eine Tasche dabei, eine Jacke und das Palästinensertuch lagen obenauf. Mit ihrer lauten Stimme unterbrach sie die Stille; sie schenkte sich einen Kaffee ein, lieà sich ins Sofa fallen und meinte schlieÃlich, Willem könne sie bis nach Hamburg mitnehmen. Spritgeld sei kein Thema, und Willem sah, wie sie zwei Fünfmarkstücke auf den Tisch setzte. Er hatte sich auf die Fahrt alleine gefreut. Auf die sozialistischen Schlager, den hellen Klang der Reifen, auf die Blechtafeln der Kollektive und die Trabant-Fahrzeuge. Er hatte sich auf das Gefühl gefreut, durch diese seltsame Doppelrepublik zu ziehen wie in einer Blase, und er wollte die wunderbaren Räume, die sich in Berlin für ihn aufgetan hatten, bis in sein Innerstes zurückbeugen. Einmal schluckte er, dann sagte er zu Reinhild, daà er nicht über Hamburg fahren werde. Er setze bei Helmstedt über, könne sie aber bis nach Uelzen mitnehmen.
Reinhild lachte laut. Sie wolle nach Hamburg und nicht nach Uelzen. So zog sie die Fünfmarkstücke wieder ein, und damit schien das Thema für sie erledigt. Sie rollte eine Zigarette und erzählte von einem Symposium in Hamburg, zu dem Frauen aus aller Welt kämen, um über männlichen Funktionalismus zu diskutieren. Reinhild war eine der Rednerinnen und überzeugt davon, daà das menschliche Dasein aus tiefer Geschichte heraus eine rein männliche Prägung erhalten habe; daà nicht nur Aufklärung, Recht und Wirklichkeit männlich geprägt seien, nicht nur Kriege, Katastrophen und Umweltverschmutzung, sondern schlimmer noch, auch das weibliche BewuÃtsein bis hinein in die Tiefen der Psyche. Weibliche Reinheit, sagte sie, sei nur noch sehr schwer aufzuspüren; Gefühle, Gedanken, Weltbilder, alles sei männlich überlagert. Doch es gebe Wege für die Frauen, diese Kruste aufzubrechen und zu sich selber zu stoÃen; weg von Macht und Destruktion der Männer. Aber das sei jetzt kein Thema, und was Willem betreffe, sei sie sich sicher, daà er gerade Weg über
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