Kronhardt
dem leidenschaftlichen Blick des Sammlers, und da interessiere auch nicht die Holometabolie mit ihren Eiern, Raupen und Puppen â zum Teufel, interessant seien allein die Vollkerfe hinter Glas. Schönheit, rief Kronhardt, Seltenheit, rief er, und Wert! Und wenn er Willem ein Exemplar präsentierte, ratterte er, was wichtig war, herunter und war stolz, wenn es zu einer aussterbenden Art gehörte.
So saÃen sie im Arbeitszimmer. Der Eichentisch erleuchtet, der Katalog eine Bibel, das glitzernde Besteck auf Samt, und dazu Kronhardts Spezialset aus dem Versandhandel â eine Pistole zum Abtöten von Speckkäferlarven, ein Zerstäuber zum Auffrischen abgenutzter Schillereffekte und, wie er sagte, die filigranen Errungenschaften der makromolekularen Werkstoffindustrie, nichtwahr: Ersatzteile wie Rüssel, Fühler oder Beine, wunderbare Kunststoffe, sagte er, besser als die Natur, und der dazugehörige Klebstoff verströmte einen Duft.
Und wenn Kronhardt mit dem Augenglas über den Tieren saÃ, glaubte er, Willem zu begeistern; Schere, sagte er, Pipette, sagte er, oder schau, eine südamerikanische Nymphalide, schwer zu kriegen, je gröÃer, desto wertvoller, und Willem muÃte das Maà anlegen und im Katalog blättern.
Dabei stellte er sich die Schmetterlinge in ihrer Welt vor; in den unerforschten Wipfeln ferner Wälder, wo Licht und Schatten zu tropischer Energie verschmolzen und lange Rüssel sich in die Tiefe geheimnisvoller Blüten entrollten; er stellte sie sich im Flug vor über Heide und Moor, wo sie ihre Schönheit unter der Sonne ausbreiteten und wo ihr stiller Flügelschlag womöglich einen Sturm erzeugte, der Kiefern entwurzelte und Schneisen trieb, den Schmetterlingen aber, diesen zarten Geschöpfen, nichts anhaben konnte.
So saÃen sie um den Eichentisch, das Licht wurde vom Samt geschluckt und bündelte sich auf den aufgespieÃten Tieren. Und aus ihrem schillernden Tod stiegen in Willem Erinnerungen auf an den Vater, und manchmal fiel eine Träne auf das Glas. In solchen Momenten drängte Kronhardt den Jungen beiseite, wischte die Träne wie einen Fremdkörper weg und hielt Willem schlieÃlich Verweichlichung vor; er forderte den Realitätssinn des Sammlers, markierte aus der Stellung des Menschen an sich das Recht auf diese kultivierte Art von Liebhaberei, und weil Willem Angst um seine freie Zeit hatte, entschuldigte er die Tränen mit der Wahrheit.
Der Vater! rief Kronhardt dann. Der Vater also! Und er spuckte diese Worte aus, und mit der Erinnerung an seinen Bruder zerquetschte er Willems Tränen. Tot ist er, dieser Vater. Tot, tot, tot! Auch ein Kind muà das irgendwann in seinen Schädel kriegen. Tot, das heiÃt für immer. Tot, das heiÃt nie wieder, sagte er, und daà Willem die Familie und alle Zukunft spalten würde, wenn er diesen Toten ständig aus dem Jenseits hervorholte. Entartete Phantasien seien das, die sich verkapselten und zuletzt zu Krankheiten auswucherten, und ganz nebenbei, sagte Kronhardt, sei Willems Vater nie der Mensch gewesen, den Willem erinnere. In Wahrheit sei dieser Richard von zersetzendem Charakter gewesen, und wenn Willem sein Leben nicht von Anfang an verpfuschen wolle, wenn Willem nur ein biÃchen Ehre im Leib habe und Dankbarkeit für das, was seine Mutter und er für ihn täten, dann würde er diesen Mann im Jenseits belassen â nichtwahr: wo er auch hingehöre.
So schien Kronhardt gekränkt. Und Willem fiel es schwer, die erwartete Begeisterung aufzubringen. Und noch bei der Wahrheit muÃte er um seine kleinen Freiheiten fürchten.
Seine Lust an den Büchern erschien den Alten wie Disziplin. Wie eine strebsame Umsetzung der Maxime, die das Fräulein von Weyer ausgegeben hatte: Wissen ist Macht, und so konnte Willem die Erwartungen der Alten mit seinen eigenen Interessen verschmelzen.
Für Kronhardt erzeugte er den Willen zum Guten, indem er stets neues Wissen parat hatte. Wenn er mit dem Alten am Eichentisch saÃ, erzählte er von Riesenschmetterlingen, die mit Pfeil und Bogen erlegt wurden, erzählte von den spektakulären Sammlungen des Hochadels oder von abenteuerlichen Expeditionen in die weiÃen Flecken der Weltkarte. Er las Geschichten vor vom Bildhauer Kallikrates, der die menschliche Seele wie einen Schmetterling geformt hatte, und von den Griechen, bei denen das Wort Psyche sowohl Schmetterling als auch Seele bedeuten
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