Kronhardt
konnte. Er las von wilden Clans vor, die glaubten, mit den Schmetterlingen verwandt zu sein, sie beschützten und anbeteten, er las von den spektakulären Massenwanderungen der Monarchfalter vor oder vom einsamsten Schmetterling der Welt. Und Kronhardt lieà ihn gewähren.
Er saà mit Augenlinse und Katalog da, hörte sich die Geschichten an und förderte noch die WiÃbegier des Jungen, indem er ihn auf Fragen ansetzte, die ihn selbst interessierten. Und daà Willem scheinbar mühelos durch die Bücher sprang und jedesmal eine Antwort hervorbrachte, befriedigte Kronhardt. Manchmal lächelte er sogar, wenn er den Jungen bei seinen eifrigen Nachforschungen beobachtete, und dann war er sicher, ihm den tiefen Sinn hinter dieser Sammlerkultur vermittelt zu haben.
Doch jenseits vom Eichentisch hatte Willem längst neue Felder entdeckt; er las über Parasiten, Diebe oder Fallensteller und entwickelte tiefen Respekt für die Insekten, die den Anforderungen im Ãberlebenskampf so dramatisch ausgeliefert waren. Er staunte über die Kräfte, die Angriffs- und Abwehrmechanismen in ständiger Dynamik hielten, die jederzeit Vorteile erschufen und sie wieder vernichteten, und wenn er sich in Gedanken die kleine Welt dieser Tiere vergröÃerte, war er schwer beeindruckt von dem alltäglichen Grauen. Er las von Weibchen, die ihre Männchen mit betörendem Duft anlockten, um ihnen dann die Köpfe abzubeiÃen; von Männchen, die das Herz ihrer Weibchen mit einem Stachel durchbohrten, oder von winzigen Wespen, die sich darauf spezialisiert hatten, riesige Spinnen zu überwältigen, zu lähmen und in eine Höhle zu schleppen, wo sie schlieÃlich die eigene Brut in den lebendigen Riesen spritzten, die ihn dann langsam von innen her auffraÃ.
Die Insekten erschienen Willem wie ein wunderbares Geheimnis. Und je mehr er sich auf sie einlieÃ, desto mehr schienen sie ihm zu offenbaren, und bald war er erstaunt über diese Ausweitung der Wirklichkeit, die zuletzt das Weltbild des Menschen zu einem unter vielen machte.
Die Schistocerca lebten als Einzelgänger, die nur zu Paarung und Eiablage zusammenkamen. Doch es gab Jahre, in denen ungewöhnlich viele Larven schlüpften, und bevor sie sich gegenseitig die Nahrung streitig machten, verwandelten sie sich vom kurzflügeligen Einzelgänger zum langflügeligen Gruppentier. Ein geheimnisvoller Vorgang, wie von geisterhafter Fernwirkung ausgelöst, und so bildeten sich die berüchtigten Wanderschwärme, die ganze Länder kahlfressen konnten.
Willem las, daà Heuschreckenwolken seit uralten Zeiten bekannt waren und daà die Menschen alles mögliche versucht hatten gegen diese unheimliche FreÃkonkurrenz. Mit der Entdeckung von Rauschdrogen hatten sie ihre menschliche Gebundenheit verlassen, um auf einer Seelenreise die Heuschreckengeister milde zu stimmen. Sie hatten Heuschreckengötter installiert und dazu getanzt und geopfert; sie hatten ein päpstlich abgesegnetes System von Gesetzen entwickelt, um die Heuschrecken vor ein geistliches Gericht zu stellen und mit dem Mächtigsten zu bestrafen, das sie kannten: der Exkommunikation.
Doch die Schistocerca lieÃen sich von dem menschlichen Budenzauber nicht beeindrucken, und wenn in einem Jahr wieder ungewöhnlich viele Larven schlüpften, hielten sie sich weiter an ihre Strategie der Verwandlung, als hätten Kirchenbann oder Hölle für sie keine Bedeutung.
Also sattelten die Menschen um. Wenn die Heuschrecken selber nicht Ursache ihrer Wirkung waren, muÃte der Auslöser für ihre Verheerungen woanders liegen. Wer von Plagen heimgesucht wurde, hieà es plötzlich, lebe in Sünde und gäbe seinen Zehnten nicht ab; und natürlich waren es die Armen und Erniedrigten, die plötzlich die doppelten Abgaben aus den kahlgefressenen Feldern herausholen muÃten, und wer es nicht schaffte, wurde automatisch ein Fall für die Inquisition.
Doch auch auf diese Art war den Heuschrecken nicht beizukommen.
Immer wieder klirrte diese beängstigende Dunkelheit herab. Als ob es Gott in seiner Milde nie gegeben hätte; als ob alle menschgemachten Systeme, alle Ansprüche auf Schöpfungstechnik und von Gott übertragener Lenkung glattweg vorbeigingen an diesen Schistocerca. Und so wurden bald mutwillig Kriege losgeschlagen, um Gefangene für die Heuschreckenjagd zu machen, bald wurden andere Methoden zur Vernichtung
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