Kronhardt
sie Raum um Raum eröffnen würde.
Doch sie hatte sich getäuscht und spürte bald, wie die anfängliche Durchdrungenheit nachlieà und der Schmerz sie wieder überwältigte. Und so versuchte sie von neuem aus den Erinnerungen Mut zu schöpfen; ging durch das Haus, rührte an den Dingen, lachte und weinte, und dann erkannte sie, daà ihren Eltern aus dem Schmerz der Hitlerjahre vor allem Liebe erwachsen war. Erkannte plötzlich die ganze GröÃe dieser Liebe und wie wunderbar sie selber ihr ganzes Leben hindurch darin eingebettet gewesen war. Und tatsächlich entstand ihr aus dieser Erkenntnis wiederum Geborgenheit, doch auch dieses Mal hielt sie nicht lange an. Bald war der Schmerz wieder da, bald konnte sie mit erschreckender Klarheit sehen, wie allein sie auf der Welt war.
Der Wirt räumte ab und freute sich über das Lob an seine Frau. Dann brachte er Kaffee, und Barbara zündete eine Zigarette an. Durch den Rauch hindurch sagte sie, daà es eine Flucht gewesen sei.
Ich konnte diese Angst nicht ertragen. Ich muÃte mich ablenken, und mit dem ersten, sagte sie, war es kaum mehr als ein Deal. Ein Typ, der auf dem Sprung war, die Hippiekluft gegen einen Anzug zu tauschen. Er hatte eine Menge Geschichten und Drogen parat, und jedesmal wenn wir Sex hatten, waren wir irgendwie drauf.
Der nächste war ein Künstler. Ich lernte ihn auf einer dieser wilden Partys kennen; er spie pure Energie, und ich glaubte, er würde die ganze Welt in sich saugen, umwandeln und diese wunderbar heiÃen Brocken hervorbringen. Ich war dabei, wenn er Aktionstheater machte, EntblöÃungsobjekte in der Werkstatt erschuf oder rastlos durch die Wohnung zog und Pamphlete gegen eine Freiheit schleuderte, die gemästet wurde von Boulevardblättern und Technicolor. Ich glaubte, hinter seiner radikalen Art etwas völlig Neues für mich zu entdecken und noch Schmerz und Angst in mir zu überwinden. Ich berauschte mich an seiner Energie, und als er plötzlich Erfolg mit seinen Pamphleten hatte, meinte ich, wir würden gemeinsam durchstoÃen in eine neue Dimension. Seine Lesungen waren ständig ausverkauft, bald hielt er sich für ein Genie, das mit seiner neuen Sprache an den Verhältnissen rüttelte und den Weg frei machte für neue Denkmuster, bald für überirdisch, und er driftete ab in Visionen, aus denen er unglaublich geschmiedete Prophezeiungen mitbrachte, und ich muÃte einsehen, daà sein ganzes Feuer nur Geltungssucht war. Ein Haà auf jeden, der ihn nicht wahrnahm.
Auch der nächste war ein Künstler. Ein Jazzmusiker, der so sensibel war, daà noch sein Schwanz sich regelmäÃig zurückzog. Ein Mensch mit unglaublichen Tiefen hinter all der Scheu, und eine Zeitlang hatte ich die Hoffnung, in seine Tiefen einzutauchen und dort geborgen sein zu können. Doch mit seinem latenten Hang zur Asexualität konnte ich nicht umgehen. Geborgenheit hat für mich auch etwas mit körperlicher Liebe zu tun.
Nach dem Jazzmusiker ging ich in die Tanzlokale. Nicht diese Hippieschuppen, sondern ganz bürgerlich, und die Männer, die ich mir aussuchte, waren durchweg schneidige Kerle mit Koteletten und Sakko. Männer, die sich weltmännisch gaben und mondän und von Frauen einen ganz natürlichen Abrichtungscharakter erwarteten. In Wirklichkeit, meinte Barbara, sei es erstaunlich einfach, die wunden Stellen hinter ihrem Fundamentalismus aufzuspüren und diese Kerle gefügig zu machen. In Wirklichkeit seien sie weich und begännen schon nach einer Nacht zu klammern. Doch Dauer und Tiefe waren mir mit diesen Männern unmöglich. Ich wollte einfach nur kompensieren; wollte gegen meinen inneren Schrei diesen schreienden Moment.
Sie sah Willem an.
Er sagte nichts.
Die Männer haben mich nicht weitergebracht.
Er hob die Schultern. Vielleicht hast du eingesehen, daà die wahren Werte nicht zu erzwingen sind.
Vielleicht.
Und man muà nicht zwangsläufig unter den Nazis gelitten haben, um Liebe zu erfahren.
Du hast bestimmt recht.
Man kann jederzeit darangehen, die Innerlichkeit in eine so feine Kraft umzuwandeln wie deine Eltern.
Sie lächelte und nahm seine Hand. Nach den Männern erledigte ich, was zu erledigen war. Ich schloà das Geschäft und fuhr zu Inéz nach Hamburg. Ich blieb drei Monate und kam mit einem Plan zurück nach Bremen. Ich wollte verkaufen und gemeinsam mit Inéz etwas Neues angehen.
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