Kronhardt
groÃflächig auf dem Tisch, die strenge Chronologie aus dem Kästchen aufgelöst. Sie stieà den Rauch in die Stille und zeigte ihm ihr Profil. Er konnte mehr sehen als die Frau, die er bisher gekannt hatte; noch das Kind saà da, das Nymphchen, die junge Frau in den Bergen Kastiliens. Es schien ihm eine wunderbare Vertiefung.
In der Nacht war Nebel aufgekommen und hielt die Stadt zum Morgen hin mit weiÃen Kristallen überzogen. Willem hatte einen vorlesungsfreien Tag, und beim Frühstück schlug er vor, hinauszufahren.
Im Käfer drehte er die Heizung hoch, doch erst hinter der Brill-Kreuzung spürten sie die Wärme. So zogen sie bald an der groÃen Werft vorbei, an der Getreidemühle und der Stahlhütte. Als sie die Lesum überquerten, dampfte der FluÃ, Richtung Norden stieg Nebel gegen den Geestrücken, und nur die hohen Bäume stachen mit weiÃem Geäst heraus. In Rönnebeck hatten sie Blick auf die Weser, und sie überholten einen Dampfer, der sich schemenhaft durch die Schleier schob. Auch der Bunker lag unscharf hinter den Schilfgürteln, und seine Nähe drängte noch durch die Heizungsluft.
Willem lenkte direkt unter den Deich und parkte bald in einer Bucht. Sie hatten warme Kleidung dabei und einen Rucksack mit Thermoskanne und Stullen. Auf der Deichkrone spürten sie eine Brise, und Barbara band ein Kopftuch um. Von hinten kam der Dampfer, seine Kolben trieben einen dumpfen Takt über das Wasser, doch seine Umrisse blieben schemenhaft. Die Sonne war nicht zu sehen, rings das weite Land war nicht zu sehen, und die Schilfgräser wirkten im Reif erstarrt.
Als sie die Wurt erreichten, hingen Eiskristalle auf ihren Kleidern. Der Kaffee dampfte, und sie hielten die Becher mit beiden Händen. Manchmal langten Ãste der vom Sturm gefällten Weide durch die Schwaden, manchmal schien irgendwo ein groÃer Vogel vorbeizufliegen. Sie saÃen eng beieinander, und es war ein Gefühl, als wären sie ganz allein auf der Welt.
Der Käfer war ausgekühlt und mit frostigem Pulver überzogen. Willem steuerte gemächlich unterm Deich entlang, und es dauerte, bis die Scheiben nicht mehr von innen beschlugen. Erst auf der LandstraÃe schaltete er hoch, und obwohl die Welt ringsherum verborgen blieb, war er stets orientiert. So zogen sie vorbei an den einsamen Gehöften, und das Gekläff der Kettenhunde wurde im Nebel zertragen. Sie nahmen die kleinen Dörfer mit den Storchennestern, die Allee mit den vom Nordwester geneigten Pappeln, und dann, in einer Kurve am Deich, erschien der Ochsenkrug. Willem rollte auf den Vorplatz, und Barbara rauchte bei den gestutzten Korbweiden.
Zwei Dörfer weiter kehrten sie ein in einen Landgasthof. Sie waren die einzigen Gäste, und der Wirt rief nach seiner Frau. Sie habe Kartoffeln und Blumenkohl auf dem Feuer, der Braten sei von gestern.
Trotz der nebeligen Umgebung hatte die Wurt einen Eindruck bei Barbara hinterlassen. Vor allem gekoppelt an Willems Beschreibungen davon, wie er und Schlosser die Blickwinkel verschoben und sich Räume erschlossen hatten, die jenseits vom bedrückenden Alltag lagen. Sie selber habe so ein Wurtgefühl, wie sie es nannte, auf ganz anderem Weg erfahren.
Zuerst war sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern in eine zeitlose Leere gefallen, aus der heraus sie alles Notwendige anging, ohne es richtig zu bemerken. Zwar war Inéz in den ersten Wochen bei ihr gewesen, doch die AuÃenwelt blieb Barbara seltsam fern. So beerdigte sie ihre Eltern, exmatrikulierte und stellte sich ins Geschäft. Von neun bis achtzehn Uhr, und ob Kunden kamen oder nicht, konnte sie kaum sagen. Sie glaubte, Jahrzehnte so weitermachen zu können, und sie glaubte, sich in einem Zustand von überwältigendem Schmerz zu befinden. Tatsächlich aber kam die Ãberwältigung erst später; sie sickerte allmählich durch, dehnte bald allen Raum, und nachts, wenn alle Expansion hinter ihren Lidern zusammenstürzte, verdichtete sie sich genauso endlos nach innen.
Doch seltsamerweise gelang es ihr, gerade aus der Erinnerung an ihre Eltern wieder Mut zu schöpfen, und so verbrachte sie Zeit im Elternhaus. Sie rührte an den Dingen und lieà sich von den Dingen berühren, sie lachte und weinte, und es war ein Gefühl seltsamer Geborgenheit. So ähnlich, wie Willem es auf der Wurt beschrieben hatte, und sie glaubte, daà sich mit ihren Eltern im Herzen für
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