Kronhardt
Doch dann schlug die Türglocke, und du kamst herein.
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Kronhardt machte den Vorschlag: Luxus aus dem Delikatessengeschäft. Doch seine Frau war dagegen. Wir sind keine Parvenüs, sagte sie, und Kronhardt gab ihr recht.
Natürlich hatte sie recht. Und mit diesem Gefühl verschanzte sie sich in der Küche. Schaltete ihren Heimatsender ein und schnitt Sehnen und BlutgefäÃe aus dem Braten. Deutsche Schlager spielten und ein plattdeutsches Hörstück; die Griffe am Fleischbrett gingen ihr wunderbar von der Hand, gelegentlich ertappte sie sich dabei, wie sie mitsummte oder schmunzelte, und dann schnürte sich die Küche für einen Augenblick zu einem wunderbaren Heimatgefühl zusammen â ein Fingerhut beinah, wie damals. Doch als um voll die Nachrichten gesendet wurden und die Ãlkrise unweigerlich die Gegenwart markierte, zerfiel ihr diese innere Regung wieder. Sie blickte seltsam leer auf das Fleischbrett, entschied, daà der Braten nicht fett genug sei, und spickte ihn.
Die Nachrichten hinterlieÃen eine Art Demütigung, und einmal verzog sie das Gesicht unter den sauren StöÃen ihres Magens. Dann verschmierten Stimmen und Musik, und der Sender war kaum noch mehr als klägliche Standortbestimmung â ein Volk, meinte sie, das sich einen autofreien Sonntag aufnötigen lieÃ, war im Grunde verweichlicht und hatte jene Tugenden eingebüÃt, die es einst hart und stark gemacht hatten. Die Fähigkeit, Freude durch Ãberwinden, ja Bezwingen zu erlangen, schien ihr ausgespült und für immer verflossen, und sie schüttelte den Kopf über diese â nun, sie wuÃte kein anderes Wort: Entartung.
Die Mutter starrte noch eine Zeitlang auf das Fleischbrett, die weiÃen Faserknoten dort und das geronnene Blut, doch dann ging ein Ruck durch ihren Körper. Als zöge sie endgültig Kraft aus dem Spalt ihrer Vergangenheit, spannte sich der Rücken, ihr Busen sprang vor, und so bohrte sie die letzten Speckstücke durch den Braten, beizte ihn, und aus dem Radio erschienen ihr noch einmal die legendären Schwingungen: Weiter, Max! Weiter, Max! â und dann: Aus! Aus! Der Kampf ist aus!
Als sie ihre Hände an der Schürze abwischte, zog sich die Küche wieder zu diesem mächtigen Gefühl in ihr zusammen, und der Anblick des ofenfertigen Bratens erfüllte sie mit Stolz.
Kronhardt wäre gerne mit dem neuen Mercedes vorgefahren. Sauerbraten in Wacholdergelee, Gänseleber, Kükenragout, und er hätte gerne gesehen, wie der Gehilfe aus dem Delikatessengeschäft die Sachen bis ins Auto trug. Und dann hätte er noch, als Zeichen der Weltoffenheit, ein biÃchen eingeflogene Exotik verlangt: Ananas oder Babyoktopus, damit jeder sehen konnte, daà Ãlkrise etwas war, was ihn nicht betraf und nicht interessierte. Es sei denn im Zusammenhang mit diesem Krieg dort unten, und während der Gehilfe die Exotik verpackt hätte, wäre er mit dem Chef auf das Thema zu sprechen gekommen â nichtwahr: Wie wunderbar alles sein könnte, wenn Juden und Araber sich endlich gegenseitig auslöschten.
Später hätte er den Mercedes gerne zur Tankstelle gebracht; Waschen und Polieren, während er in die Stadt geschlendert wäre, zum Herrenausstatter und in die Drogerie. Na ja. Aber womöglich hatte seine Frau recht. Oder besser: das entscheidende Gespür. SchlieÃlich war der Anlaà wichtig genug. Und natürlich konnte man den Stolz auf das, was man erreicht hatte, noch mal extra präsentieren, wenn auch wirklich alles hausgemacht war. Sogar die Schwielen vom Polieren, und so fuhr Kronhardt den Mercedes aus der Garage und machte sich an die Arbeit, während aus dem Autoradio Schlagermusik spielte oder ein plattdeutsches Hörstück.
Am Nachmittag kündigte er eine Fahrt zum Weinhändler an. Er kaufte gleich eine Kiste und lieà sie sich bis in den Kofferraum tragen. Danach besorgte er ein neues Halstuch und ein After-shave, eine Kreation, wie die adrette Dame versicherte, die genau seinem Typ entsprach. Zu Hause nahm seine Frau den neuen Duft auf Anhieb wahr, und bevor Kronhardt verlegen wurde, schmunzelte sie bereits und zeigte ihm ein frisch gekauftes Kostüm.
Zum Abend hin waren sie gemeinsam im Bad und machten sich zurecht.
Barbara erschien konservativ und streng, und Willem hatte ihr Opportunismus vorgeworfen und bis zuletzt auf hippere Klamotten bestanden. Doch Barbara hatte sich
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