Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
Fähigkeit, dieser Stärke vor dem Spiegel einen Ausdruck zu verleihen.
    So schien das Vertrauen zwischen den Generationen zu wachsen, und bald standen die Frauen gemeinsam im Bad. Die Alte konnte ohne Überwindung zugeben, daß sie Barbaras Händchen vor dem Spiegel schätzte – diese Berechnung von Nuancen und Stil, wie sie sagte, die ganz subtil die männlichen Erwartungen manipuliere und einer Frau heimliche Vorteile verschaffe.
    Barbara zeigte sich durch die Komplimente geschmeichelt; sie brachte mit dieser oder jener Finesse ganz erstaunliche Möglichkeiten des Ausdrucks hervor, sie brachte die Alte dazu, ihr angestammtes Frisörgeschäft in den Rolltreppenebenen des Warenhauses zugunsten einer nur nach Termin arbeitenden Coiffeuse aufzugeben, und bald, als wäre es nichts, hatte sie die Alte im Speicherhaus. Sie hoben die mumienhaften Ballen aus ihren Fächern, ließen den Stoff durch ihre Finger, rochen daran, hielten ihn gegen das Licht, und die Alte, beeindruckt von den ganz außerordentlichen Qualitäten, wurde auch für jene Eigenschaften der Stoffe empfänglich, die nicht nur dem eigenen Körper schmeichelten, sondern jeden Betrachter bezaubern mußten. Und als wäre tatsächlich Zauber im Spiel, trat von irgendwo die Spanierin dazu; grazil, gepflegt und beinah hermaphroditisch mit Hosenanzug und Pagenkopf – eine Erscheinung, die die Alte vollends entrückte, und als Inéz sich in Reiterstellung postierte, mit zarten Händen die nordische Kräftigkeit der Konturen erfaßte und darauf beinah kinematographische Entwürfe ans Reißbrett warf, ließ sich die Alte ohne jeden Widerstand in diese wunderbaren Stoffe hüllen, und es war egal, wie sie sich vor dem Spiegel drehte: Was ihre Augen sahen, schien verzaubert.
    Später, als sie wieder in ihrer wie mit Familienblut versiegelten Röhre war, verschoben sich diese neugewonnenen Eindrücke, ihre Lippen versteiften, und bald fühlte sie sich übertölpelt.

31
    Wenn sie in der Zukunft eine Zeitmaschine erfinden, könnten sie jetzt hier sein. Willem knabberte an geröstetem Ziegenfleisch, tunkte es in Salsa. Er saß mit Barbara und Inéz in einer neueröffneten Restaurant-Bar.
    Inéz sagte: Komischer Gedanke.
    Ach was! Womöglich bist gerade du eine Zeitreisende. Die Spanierin aus der Zukunft. Er grinste. Wie soll ich da sicher sein?
    Sie lachte. Wie sollst du da sicher sein.
    Er nahm sein Glas und stieß mit ihr an. Er hatte eine Flasche aus Navarra geordert, und Inéz wußte diese Reverenz zu schätzen.
    Warum studiert ein Mann wie du nicht Quantenmechanik?
    Dazu hätte ich ausbrechen müssen. Wie du. Und anstatt der Quantenmechanik habe ich nun Barbara getroffen.
    Und das rechtfertigt die Betriebswirtschaft?
    Daß wir uns begegnet sind, rechtfertigt beinah alles. Aber die Betriebswirtschaft war reine Überlebensstrategie.
    Immerhin hast du etwas gelernt.
    Was man fürs Geschäft so brauchen kann. Prognosen, frühzeitige Strukturanpassung. Wenn man ins Geschäft will.
    Inéz lachte wieder. Du bist ein seltsamer Mensch, Willem.
    Ach was. Strukturanpassung oder Prognose – alles ist eng daran gekoppelt, wie man ausgelegt ist. Vielleicht austern-, vielleicht fledermausartig; vielleicht Teilchenphysik, Molekularbiologie oder Börsenstatistik. Und wir haben anderthalbtausend Kubikzentimeter grauer Masse. Unerforscht. Unverstanden. Ein Universum von Möglichkeiten. Wie sollte man da nicht seltsam sein.
    So saßen sie zu dritt bei Ziegenfleisch und Wein und feierten Willems Diplom. Er hatte es mehr schlecht als recht bestanden und war bis zuletzt darum bemüht gewesen, die Dozenten zu Anekdoten und Auflockerung anzuregen. Doch sie waren alle streng beim Stoff geblieben, und nur in der mündlichen Abschlußprüfung, der auch sein Professor beisaß, konnte Willem die Disziplin durchbrechen, das Feld weiten und Behauptungen aufstellen, für die keine Beweise vorlagen. Wenn die Menschen in der Zukunft eine Zeitmaschine erfinden, hatte er gesagt, könnten sie jetzt hier sein. Daß sie aber offensichtlich nicht hier sind, hatte er gesagt, bedeutet nicht automatisch, daß sie in der Zukunft keine Zeitmaschine erfinden werden, und von dieser Behauptung ausgehend hatte er schließlich den Bogen zurück zu den Prüfungsfragen geschlagen, und seine Antworten zu Strukturanpassung oder Prognose waren ausreichend gewesen.
    Die

Weitere Kostenlose Bücher