Kronhardt
diesen Schneetagen doch maÃlos. Sie gierte nach jeder Erniedrigung, jeder flüchtigen Erhabenheit, doch wirklich durchdringend waren diese Erlebnisse nicht. Wenn die Schautafeln sich blau verfärbten und die Stimme weiterhin RuÃlandkälte voraussagte, schien ihr Mund weiterhin zum Spalt versteift.
Erst zum März hin brach aus ihr ein Lächeln hervor. Als hätte sie während der Winterstarre in sich hineingehorcht; als wäre sie hinter ihrer Verbitterung zu der Einsicht gelangt, die Fähigkeiten der Jüngeren mit ihren eigenen Fähigkeiten zusammenwirken zu lassen; als spürte sie wieder ihre altvertraute Kraft, mit der sie sich über andere hinweg zum Wohle eines Ganzen einbringen konnte. Und die Alte trug dieses Lächeln bis in den Frühling hinein und eignete sich bald die Erkenntnis an, daà die Schwiegertochter nicht nur Ausgleich war für den miÃratenen Sohn, sondern auf eine naturgesetzliche Art ein Stück ihrer selbst. So wie sie es von Anfang an geahnt hatte. Mit dieser letzten Erkenntnis verwandelte sich alle Verbitterung, ihr spaltiger Mund weichte auf, und Barbara nährte ihren Stolz.
Daà Barbara die plötzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit fraglos annahm, erschien der Alten selbstverständlich. Sie sah keinen Grund dazu, ihre Verbitterung aus dem Winter und ihre Lust zur Erniedrigung irgendwie zu erklären, und so führte sie Barbara ein in Akquisition und Betreuung. Sie nahm sie hierhin mit und dahin, sie überlieà ihr die Verhandlungen zur Anschaffung einer neuen Maschine, und wenn Barbara die festen MaÃgaben ignorierte und in den Gesprächen eine unvorhersehbare Taktik einschlug, lieà die Alte sie stillschweigend gewähren.
Bald genoà sie Barbaras Fähigkeiten und ihre Wirkung auf andere, sie genoà Barbaras Erfolge, und stets zog sie daraus das Recht auf ihren persönlichen Erfolg. Und oft genug empfand sie sogar ein groÃes Vergnügen dabei, still im Hintergrund zu bleiben, und fühlte sich wie eine Meisterin, die unsichtbar nickte.
Als die Alte spürte, daà Barbara Zutrauen zu ihr faÃte, gewissermaÃen von Frau zu Frau, und sie auf eine Art um Ratschläge anging, die Lebensvorsprung und natürliche Rangordnung auÃer Frage lieÃen, konnte man ihr die Befriedigung kaum anmerken. Und wenn sie dann aus dem Nähkästchen plauderte, konnte schon eine leichte Verklärung ihrer Stimme reichen, um ihre Weisheit mit jedem Wort zu unterstreichen: Nichtwahr, es gebe Regeln, die zum Erfolg führten. Zumal als Frau in einer Welt, die hierarchisch Männersache sei. Oh ja, sagte die Alte, und selbst ein Mann, der dahin kommen wolle, wo sie als Frauen jetzt schon seien, brauche mehr als nur gewisse Eigenschaften, die den Erfolg begünstigten. Er müsse hart genug sein, dem steten Mahlstrom auf dem Weg nach oben so zu widerstehen, daà sein eigentlicher Kern erhalten bleibe. Wer sich aber abschleifen lasse zu falscher Milde, ha, GroÃherzigkeit gar, sei ebenso verloren wie jener, der auch nur für einen Augenblick seine Mitstreiter oder das eigene Ziel aus den Augen lasse. Nein, nach oben kämen nur die Besten. Ein Mahlstrom, der immer mehr von der Schale fordere und zuletzt nur noch diejenigen begünstige, die sich, wie gesagt, ihren Kern bewahren könnten.
Keine Frage also, daà sie ganz auÃerordentliches Rüstzeug mitbringen müÃten, wenn sie als Frauen in einer solchen Hierarchie bestehen wollten. Daà sie nicht nur stets in der Lage sein müÃten zu potenzieren, was männliche Mitstreiter einbringen würden, sondern dazu ein Denken beherrschen müÃten, das mühelos die männliche Art erfassen könne und jederzeit den verborgenen weiblichen Teil bereithalte, um eine entscheidende Wirkung zu erzielen.
Also, sagte die Alte, müssen wir uns in die Welt der Männer, in ihren eingefleischten Blick denken. Müssen als Frau auch die eingefleischten Erwartungen von Anpassung und Unterwerfung heimlich steuern, um dahinter mit geistigem Seziermesser die Regeln der Männer zu unseren eigenen Gunsten zu beschneiden.
Barbara hörte den Ausführungen der Alten ohne Widerrede zu. Und bemerkte beiläufig, während sie auf eine Zigarette am Fenster stand und die Alte noch die Wucht ihrer Worte in sich spürte, daà der Erfolg einer Frau stets in ihr selber beginne. Im sicheren Gefühl ihrer eigenen Stärke und auch in der
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