Kronhardt
kein Problem damit, sich an die vorgegebene Rangordnung zu halten; und auch mit Kronhardt, aus dessen traditionalistischer Haltung stets etwas Gönnerhaftes blitzen konnte, kam sie gut zurecht. Daà sie seinen Namen nicht angenommen hatte, schien nebensächlich in Anbetracht der fortschrittlichen Ideen, zu denen Barbara ihn und seine Frau anregen konnte.
Gleich im neuen Jahr offenbarte sich die Schwiegermutter. Jawohl, die Zusammenarbeit sei bereichernd, Barbara erkenne die Zeichen der Zeit, Barbara sei wie gemacht fürs Geschäft. Doch ihr Doppelleben, sagte die Schwiegermutter. Sicher, das Konzept der Exklusivität sei gut, und auch ihre Verkaufspartys zeigten einen Nerv für Bedürfnisse. Doch Barbara solle einsehen, daà ihre sogenannten Stimulationen kaum mehr wären als eine künstliche Erscheinung mit kurzer Halbwertzeit. Und das gleiche gelte übrigens auch für die Schneiderphantasien dieser Spanierin. Sie, die Schwiegermutter, kenne Direktorentöchter und Reedersfrauen: Alle groÃbürgerliche Begeisterung sei flüchtig, ein nimmersatter Appetit. So also wäre Barbara gut beraten, wenn sie ihren sprühenden Geist ganz mit der Kronhardtschen Erfahrung paare. Und sie sprach sich mit aller Entschiedenheit dafür aus, Stoffe und Speicherhaus zu verkaufen, und offenbarte Barbara ihre Pläne für Kronhardt&Sohn.
Aus Sicht der Alten implizierte die gegebene Rangordnung ganz natürlich den Lebensvorsprung einer Generation, zudem entschleierte sie der Jüngeren eine Wahrheit und erwartete daher von ihr wenn schon keine demütige, so doch eine fraglose Entgegennahme. Sie wollte zum Guten eindringen in die Jüngere, sozusagen von naturgegebener Warte lenken, um die eigenen Errungenschaften im Nachwuchs zu festigen, und so war sie davon überzeugt, daà es nur eine einzige Vorstellung von der Welt geben konnte.
Barbara war dankbar für die Offenbarungen der Schwiegermutter.
Und in jeder Generation, meinte sie, gebe es Verbindungen und Erscheinungen, die eine neue Sicht der Dinge erforderten. Jede Generation müsse ihren eigenen Mut und Scharfblick entwickeln, und für jede Generation sei persönlicher Erfolg unweigerlich verbunden mit einer persönlichen Stunde Null. Und so, meinte Barbara, seien die Alten zu jeder Zeit gefordert, den Jungen Raum mitzugeben für die eigenen Erfahrungen. Damit sie ihr Leben früh genug selbst in die Hand nehmen und den Anforderungen ihrer Zeit, bestärkt vom guten Willen der Alten, in einer Weise begegnen könnten, die vielleicht nicht immer ohne Fehler, aber stets ohne Zweifel am eigenen Fortschritt sei. Oder nicht? sagte Barbara. Hätten die Jungen jederzeit komplett auf die Alten gesetzt, hätte Fortschritt niemals stattgefunden. Nein, sie würde nicht verkaufen.
Und die Schwiegermutter â nun: Sie war sprachlos.
Vor allem die MiÃachtung der Rangordnung, jene Erschütterung, die sie noch von den Fernsehbildern mit den langhaarigen Teufeln erinnerte, traf sie. Doch öffentlicher Bericht war etwas anderes als die eigene Stube, und ausgerechnet hier muÃte sie das erfahren, was wohl die Republik erniedrigt hatte, aber niemals sie. Nicht einmal Willem mit seiner ganzen Untauglichkeit hatte ihr je so etwas zugefügt, und hinter ihrer Sprachlosigkeit spürte sie die innere Verkrampfung, sauer und hart, und einmal noch zuckten ihre Lippen, dann zogen sie einwärts und versteiften sich zu einem Spalt.
In den elektronisch aufgerüsteten Schautafeln markierte der schwankende Pfeil Sturmgefahr aus Nordost, und die Wetterstimme der Tagesschau sagte weitere Schneefälle voraus. Für die Alte waren diese kalten StöÃe aus RuÃland wie eine bittere Untermauerung, und während rings aus den Kristallwinden endlos wunderbare Welten erwuchsen, bunkerte sie sich ein. Vereinnahmte Hultschineks Kabäuschen, trieb ihn hinkend durch das Rattern und die Gänge; forderte von Kronhardt den entscheidenden Druck gegen die notorischen Schuldner; forderte von Willem, forderte von Barbara und versäumte es nicht, alles Eingeforderte zu kontrollieren, um hinterher jeden Fehler und damit jene Erfahrung und Weitsicht zu offenbaren, mit der sie alles Entscheidende so zwangsläufig an ihrer Person festmachen konnte, als wäre dies ein Naturgesetz. Obwohl sie sonst aus der langen Erfahrung ihrer Ãberlegenheit kaum noch Bedürfnis nach stolzem Ãberschwang entwickeln konnte, wurde sie in
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