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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Frauen stießen mit ihm an.
    Dann sagte Barbara: Und jetzt?
    Ich denke, wir feiern.
    Du weißt, was ich meine.
    Nach dem Diplom ist vor dem Diplom, sagte Willem und küßte seine Frau.
    Die Restaurant-Bar gehörte einem Mexikaner, der Hector Luna hieß. Der Mann war klein und stämmig und hatte bronzefarbene Haut. Willem gab ihm aus der Nische heraus ein Zeichen.
    Ich würde gerne mit Ihnen anstoßen, Hector. Darf ich Sie einladen?
    Como no. Der Mexikaner nickte und setzte sich zu ihnen.
    Die Restaurant-Bar war zeitlos und solide eingerichtet. Keine exotische oder folkloristische Effekthascherei, aber man spürte den fremdländischen Stil. Es gab gekalkte Nischen, aus denen man die Straße überblicken konnte, und einen hufeisenförmigen Bartresen. Man bekam zu jeder Zeit selbstgemachte Häppchen, abends wurde Holzfeuer unter den Bratplatten entfacht, und durch einen Mauerbruch konnte man der Köchin zusehen.
    Die Bilder an den Wänden erinnerten Willem an die Ausstellung in der Kunsthalle, und auch die Figuren, die in Vertiefungen und auf Vorsprüngen saßen, schienen aus einer anderen Welt. Maskierte oder tanzende Hunde, Götter mit Schlangennasen.
    Der Mexikaner sagte: Ándale. Sie haben also Ihr Diplom. Sie haben etwas geschafft und können stolz darauf sein. Ich freue mich aufrichtig für Sie.
    Ehrlich gesagt, Hector. Ich habe dieses Diplom nie gewollt.
    Wer weiß, wofür es gut ist.
    Ich glaube nicht, daß es mir etwas nützen wird.
    Manchmal weiß man erst später, wofür etwas gut ist. Dann sah der Mexikaner ihn an. Ich glaube, daß beinah alles, was einem im Leben widerfährt, zu etwas gut sein kann. Die Dinge machen etwas mit einem. Man lernt, neu zu sehen. Und eines Tages kann man etwas mit den Dingen machen. Hector Luna hatte ein seltsam altersloses Gesicht und glänzende Augen, und wenn er lachte, traten Furchen in seine Haut. Obwohl seine indianische Art ihn reserviert und bescheiden machte, schien er den dreien am Tisch zu vertrauen.
    Er war in den Bergen groß geworden, schroffes Land, das unter der brennenden Sonne in vielen Farben leuchtete. Als junger Mann lernte er eine Deutsche kennen. Sie gehörte zu einer kleinen Reisegruppe, ihre Eltern waren auch dabei. Restaurantbesitzer aus Bremen. Ein halbes Jahr später kam die Frau alleine zurück. Sie blieb eine Zeit, flog wieder ab, kam zurück. Das nächste Mal nahm sie ihn mit. Ihre Eltern waren sehr liberal, und sie mochten Hector.
    Sie heirateten, und seine Frau wurde schwanger. Als die Tochter abgestillt war, bat Hector darum, seinen Eltern das Kind vorzustellen. Sie landeten am frühen Abend in der Hauptstadt und beschlossen, erst ein oder zwei Tage später mit dem Bus weiterzufahren. Die Nacht verbrachten sie in einem Hotel in Tlatelolco. Am nächsten Tag trug Hectors Frau die Tochter in ein Rückentuch gewickelt durch die Stadt. Sie zogen vorbei an Pyramiden, spanischen Kirchen und Wolkenkratzern. Voraus zerschmolz die riesige Stadt unter der Sonne, und sie sahen nicht, daß ihnen etwas entgegenkam. Im nachhinein erschien es Hector wie ein Art Welle, unscharf und sprunghaft und dabei so schnell und alles erfassend, daß sie nicht mehr ausweichen konnten. Bald hörten sie die ersten Schüsse, bald Schreie, und die Taxifahrer wußten als erste Bescheid. Es war 68 , und die Studenten wurden zusammengeschossen. Alle, die anders aussahen, wurden zusammengeschossen. Seine Frau fiel einfach so. Sie waren gar nicht im Tumult gewesen, hatten sich abseits im Schatten der Häuserwände gehalten, und die Kugel war durch den weichen Kopf seiner Tochter bis ins Herz seiner Frau gegangen.
    Entonces, sagte der Mexikaner. Er verbeugte sich, meinte, daß Willems Diplom schon zu etwas nützlich sein würde, und machte sich wieder an die Arbeit.
    Willem leckte Salsa vom krustigen Fleisch. Auf einem Sims saß eine Figurine mit fetten Maiskolbenbrüsten, ein aus Ton gebrannter Hund grinste, und eingerahmt hingen ockerfarbene Berge mit blauen Magueys davor; ein Schienenstrang, der bis in den Horizont zerflirrte, oder Menschen, die kleinwüchsig und bronzefarben mit ihren Bündeln unter einem mächtigen Himmel standen.
    Mexiko, sagte Willem und kaute.
    Barbara sagte: Und jetzt?
    Nach dem Diplom ist vor dem Diplom.
    Willem, du weißt, daß das so nicht geht.
    Dann laß uns feiern.
    Ach, Willem.
    Er sah in ihre Augen. Du planst schon wieder. Dann

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