Kronhardt
Rauch und Bombenstaub und Abgasen hatte sich eine beinah unglaubliche Jungfräulichkeit erhalten, und bald erschienen die Steine in unberührtem Rot, und aus dem Fachwerk stach die feine Maserung. Und als die Baumänner darangingen, den Galgen aufzufrischen, lieà Barbara aus einer Eingebung heraus die Arbeit unterbrechen, bestellte einen Segelmacher und entschied mit seinem Dafürhalten, das ganze Ding wieder funktionstüchtig zu machen. Der Segelmacher begeisterte sich für den Auftrag, er brachte aus seinem Fundus Blöcke und Taljen, wie sie auf den Klippern eingesetzt worden waren, und obendrein legte er noch ein ganz auÃerordentliches Manila vor. Es dauerte nicht lange, bis Barbara wuÃte, daà dieser Mann noch selbst auf den Klippern gefahren und ein alter Kap-Hoornier war. Danach entwickelte sie die Idee mit der Tageszeitung.
Tatsächlich gab es einen Doppelspalter mit Photo von dem Kap-Hoornier vor dem hievenden Galgen, und danach drückte Barbara dem Redakteur eine kleine Chronologie des Focke-Speichers in die Hand â schlieÃlich, meinte sie, lasse sie hier Bremer Geschichte sanieren. Der Redakteur zeigte wenig Interesse an einer Fortsetzung, doch als er die Resonanz auf den Doppelspalter wahrnahm, ging er zu seinem Chef, und die Männer muÃten aus den Leserbriefen heraus einsehen, daà vor allem die Kriegsgeneration noch eine Stadt konserviert hielt, die es so nicht mehr gab. Zusammenhängende Wachstumsspuren waren mit einem Hieb zerfetzt worden, und die Erinnerungen dieser Generation waren nicht nur Phantomschmerz, sondern auch Bekenntnis zum Heimweh. Und der Chefredakteur entschied, eine Serie zu starten.
Mit Zeitzeugen und Photos wollte man der zerrissenen Stadt ihr wahres Bild zurückgeben; ein Phantombild zwar, dafür aber mit allem Drum und Dran, um das BewuÃtsein für die bremische Geschichte neu zu verwurzeln. Und es war keine Frage, daà diese Serie mit dem Focke-Speicher eingeläutet werden sollte.
Barbara überraschte den Chefredakteur mit einem Schatz, der wie ein strahlendes Vorbild für die ganze Serie erscheinen muÃte. Sie offenbarte Schriftrollen in Mittelhochdeutsch, Kupferstiche und Daguerreotypen. Sie offenbarte Lagerscheine über Quetzalfedern und bündelweise indianischen Rauchtabak; über Elfenbein und Narwalhörner, Tee, Pfeffer und Berge von nordischen Waldtierpelzen â unglaubliche Ressourcen, als fände nicht nur die ganze Welt im Speicher Platz, sondern auch noch alle Zeit.
Eine Rattenburg in den Pestdekaden und im Schmalkaldischen Krieg ein Lager für Kanonenkugeln. Amethyste und Purpurschnecken für den Dom; Schildpatt und Hanf und Indigo. Plünderung durch die Schweden, französisch okkupiert und kurzerhand florierender Weinhandel und Hurenhaus. Kautschuk, Opium und Titan. Amber, Fischbein und tonnenweise Seide. Vom Wilhelminischen Hof der Auftrag zur Lagernahme einer Dampfschiffsendung StrauÃenfedern, des weiteren Expressaufträge für Eskorialwolle, für Organdy oder Organza. Eine Auswahl feinster Stoffe und Tuchwaren, die jederzeit für die Schneider der groÃen Kaufleute vorlagen, und im Ersten Weltkrieg dann Kattun und Nanking. Und obendrauf die Todesurkunde von Barbaras GroÃvater, der sich geweigert hatte, Senfgas auf dem Weg an die erstarrte Westfront zwischenzulagern. Dann jede Menge Photos, Artikel und Auftragsbücher aus dem Wirtschaftswunder.
Der Chefredakteur war begeistert und hängte sich selbst in die Sache rein. Er sprach von einem Bekenntnis nicht nur zum Heimweh, sondern zur tiefen Historie dieser Stadt, er versprach den Lesern eine Serie, machte den Speicher zum Aufmacher, und Barbara konnte auf dem Photo erscheinen wie eine Galionsfigur. Ãber Kap Hoorn bis auf Seite eins, und die ganze Stadt konnte es lesen.
Gekoppelt an das eindringliche Erlebnis für die Zeitungsleser nutzte Barbara die Fertigstellung des Speicherhauses zu einer Art offiziellem Termin. Vor allem natürlich aus geschäftlicher Sicht, aber auch, um ihren guten Willen zu zeigen, rekrutierte sie die Gäste aus einer Schnittmenge mit den Alten. So waren Deutschmeister und Konsorten zugegen, der Senator, Bankdirektor und Meyer-Lansky; aber auch die neu geknüpften Kontakte, voran der Chefredakteur, durften nicht fehlen. Der Architekt war dabei, ein paar illustre Gäste aus Kunst und Kultur, und als kleines Glanzstück konnte Barbara das Erscheinen des Bürgermeisters
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