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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Barbara sicher, daß sie zurückkommen würden. Und Willem, eine Languste schlürfend, meinte, na klar. Barbara hatte die nächste Seite eins hingekriegt. Mit feinsten Lettern in die fettesten Köpfe geschlagen.
    Die Tage darauf erschien die Schwiegermutter mit saurem Gesicht. Als hätte die ganze Lust am eingeweihten Dünkel nie stattgefunden. Barbara! meinte sie. Mit ihrer Fähigkeit zu begeistern! Mit ihrer Fähigkeit, den Blick für die Realität zu verschleiern, und sie mokierte sich über ihr neues Büro.
    Zugegeben, eine ganz wunderbare Räumlichkeit, und auch keine Frage, daß sie begeistert seien von Glastüren und Dachlicht; ja, und sie hätten den Blick über die Altstadt bereits in der Vorstellung genossen, und sicher, sie rechneten es Barbara hoch an, daß sie ihnen den Spitzgiebel im neuen Stammhaus überlasse, und sie seien sich auch darüber im klaren, daß sie sich dieses Sahnestück selbst ausgesucht hätten.
    Oder nicht! rief die Alte. Und dann lachte sie gehässig und nannte Barbaras Fähigkeit zur Begeisterung eine perfide Masche. Zugleich brillant, das müsse sie zugeben, wie Barbara es verstehe, die Realität zu verschleiern. Dann lachte sie wieder, und dann kam ihre Stimme schneidend, aus unbestimmter Höhe: Tatsache bei all diesem Hokuspokus, meinte sie, bliebe der steile Weg unter den Spitzgiebel. Tagein durch die Wochen, tagaus in die Jahre, und wenn Barbara geglaubt habe, die zermürbende Absicht dahinter verschleiern zu können, hätte sie sich geschnitten. Nein! Sie würden sich nicht durch die boshaften Gänge bis unters Gebälk abnutzen lassen. Und auch nicht ihre treusten Kunden, ein Deutschmeister etwa oder ein Brauereidirektor, für die der steile Weg bereits jetzt eine Zumutung sei.
    Ein Lift! rief die Alte dann, und das Wort durchfuhr den Raum.
    So ein Lift hätte von Anfang an in die Planungen gehört! Statt dessen unternehme Barbara unautorisierte Alleingänge und verschleiere das hinter ihren schönen Worten!
    Barbara sah die Schwiegermutter an. Diesen Mund, und dann sagte sie, daß ein Lift unmöglich sei.
    Es dauerte eine Woche, bis die Alten einsahen, daß Barbara recht hatte. Und eine weitere, bis sie entschieden hatten, ihr Büro nicht im Spitzgiebel zu beziehen, sondern in der ersten Etage. Und dort forderten sie den Einriß einer frisch gezogenen Mauer, forderten die zwei Einzelbüros in den ursprünglichen Großraum zurück – ein offenes Doppelbüro, riefen die Alten, wie unterm Spitzgiebel, und Barbara hörte sich das an und lächelte. Später nannte sie die Alten ungerecht und destruktiv, und dann bestellte sie die Maurer, und die Männer schlugen die frisch gezogene Wand wieder ein.
    Willem nannte die Vernagelung der Alten gewohnt lästig. Doch im Grunde vollkommen belanglos, um so mehr, wenn man einen Blickwinkel einnehme, der aus kleinsten Teilchen größte Zusammenhänge entstehen lasse, die zuletzt alles Gegensätzliche auflösten und aus allem Dualismus eine übergreifende Einheit machten, und so zog er Barbara aufs Sofa. Und für eine Stunde entrückte sie der Wohlklang seiner Stimme, zog sie in den Kokon, in dem aller Alltag verwischte, und dann fing er an, Bilder vom Spitzgiebel zu entwerfen. Sprach von einer Verborgenheit, einem Garten mit Panorama- und Himmelsblick, und es sei klar, daß man dort ein Teleskop haben müsse; einen alten Schreibtisch am Fenster, eine kleine Bibliothek mit Bar, Musik, expressionistische Bilder und einen von diesen Kakteen, die auf den Photos bei Hector Luna zu sehen seien. Und nicht zu vergessen die Reinstallation der alten Milchglaskugeln und dazu ein gutes, altes Ledersofa.
    So hielt er seine Frau an sich gezogen und verwandelte die Vernagelung der Alten in eine wunderbare Fügung. Oder nicht? sagte er. Der Spitzgiebel ist doch wie gemacht für mich.
    Später tranken sie Tempranillo, anderthalb Flaschen, und danach verführte Barbara ihn auf dem Sofa. Er ließ sich nur zögernd darauf ein, und nachdem sie einen lauten gemeinsamen Höhepunkt hatten, saß Barbara da, rauchte, und ihm wurde klar, warum er so zögerlich gewesen war. Sie würde ihm Vorwürfe machen wegen seiner Visionen; ichbezogen würde sie vielleicht sagen, würde auf seinem eigenen Vorteil herumreiten und ihn immer wieder darauf stoßen, daß er ihr gegen die Alten nicht genügend zur Seite

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