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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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aber auch, daß er Barbara nicht gänzlich alleine lassen konnte, und seit sie damals die Restaurant-Bar von Hector Luna verlassen hatten, machte er sich Gedanken, auf welche Art er Umgang mit den Alten pflegen konnte, der vor allem Barbara half.
    Es fiel ihm schwer, eine Lösung zu finden, zumal Kronhardt wie ein Geck stolzierte und dann bis in die Nacht versäumte Arbeit nachholen mußte und seine Mutter von den Höhen der Herausforderung herab keinen Sinn mehr in seinen Halbtagstätigkeiten sehen konnte. Immerhin hatte er ein paarmal versucht, sie in die Vergangenheit zu verwickeln, und die Zeit absichtlich benutzt, alles zum Schönen hin zu verzerren, doch die Mutter wollte auch darin keinen Sinn erkennen. Sie hielt wohl inne, wenn er Bruchstücke aus seiner Kindheit hervorholte, die noch der unterschlagenen Geschichte einen milden Schimmer gaben, doch sie ließ sich nicht verwickeln. Stumm und mit hartem Blick hörte sie zu, wie sie den kleinen Willem damals gescheitelt oder ihren Speichel auf seiner Haut zerrieben hatte. Wie sein weicher Schädel wie ein Rohling in ihrer Hand oder ein Schrumpfkopf zwischen ihrem Fleisch erschienen war; wie sie dahintergekommen war, daß er Blutwurst gegen Aal getauscht hatte. Und sogar die Zeiten in Zürich ließ sie stumm passieren; als Willem sie aus seinen glücklichen Erinnerungen nicht ausschloß und die Erlebnisse mit dem Vater wie Familienerlebnisse erscheinen ließ; er sprach auch davon, wie ihre Turmfrisur und ihre Eleganz ihn beeindruckt hatten und wie er an ihrer Hand durch die mächtigen Bankhäuser gezogen war und wie rings die Bankmenschen sich vor der Gestalt seiner Mutter verbeugt und ihr noch die schwersten Türen bis hinab in die Katakomben offengehalten hatten. Er sprach vom Duft der Mutter, wenn sie mit der Kassette in die Kabine gegangen waren; von der Fülle, mit der es aus ihr gedrängt hatte, Parfüm und Schweiß, während er mit dem Gesicht zur Wand Visionen entwickelte von dem riesigen Eisbecher, den ihm die Mutter jedesmal nach den Bankhäusern in Aussicht gestellt hatte.
    So hörte die Mutter stumm zu, wenn er Bruchstücke von damals hervorholte. Und durch ihre Augen drang nicht der Schimmer einer Empfindung, und ihr Sohn stand da wie ein Fremdkörper.
    Sie kam unverhofft ins Büro. Willem zog gerade einen Ordner aus dem Regal, als sie im Leopardenmantel und mit klackernden Absätzen eintrat. Es war Herbst, ein Blatt hatte sich im feuchten Pelz verklebt, und an ihren Schuhen waren Spuren vom Neubaugebiet. Sie sah gut aus, die Haut erfrischt an der diesigen Luft und in ihren Augen die freudige Erwartung, weitere Aufgaben anzugehen.
    Läufts geschmeidig, sagte er.
    Sie antwortete nicht, doch er konnte sehen, daß sie beinah gelächelt hätte.
    Dann sagte er es: Mutter, du siehst gut aus.
    Sie schien kurz zu erstarren, dann drehte sie sich in einer eleganten Bewegung ab. Vor der Wand mit dem Kalender blieb sie stehen. Der Neubau, sagte sie. Alles geht so glatt. Dann nahm sie einen Stift; ihre Erbspur verloschen und die Geschäftstage im Elternhaus gezählt. Willem konnte sehen, wie sie das Kreuz in den Oktober malte.
    Mutter, sagte er und sah auf ihren Rücken. Diesen Mutterrücken in Leopard, und in der einsetzenden Stille überkam ihn zum erstenmal das Gefühl einer Verbindung, die bis in ihren Uterus zurücklangte. Er konnte nichts gegen die plötzlichen Tränen machen; ein seltsam unverzerrter Blick, als gäbe es noch immer Verbindung mit dieser ersten Lebenshöhle, und wie mit geisterhafter Fernwirkung konnte er spüren, daß auch seiner Mutter diese tiefen und alten Tränen rollten.
    So saß er da – Mutter! Und ihr Rücken verwässerte, und die ganze Frau verwässerte, eine seltsame und ungewohnte Sache für Willem. Sie hatte nie geweint. Eine Frau, die Freude und Schmerz bereits unter Kontrolle brachte, noch bevor sie überhaupt da waren, und jetzt stand sie vor dem Kalender, und er spürte ihre Tränen. Und was wäre erst, wenn er gesagt hätte: Mutter, ich liebe dich? So saß er am Schreibtisch, und die Tränen rollten.
    Als die Mutter sich jedoch vom Kalender drehte – eine Bewegung, meinte er, wie aus einer Galaxis heraus, unendlich sanft und geordnet –, waren ihre Augen trocken. Als hätte sie in ihrem Leben nie geweint, und ihr Blick schärfte sich an Willems Blöße, und ihr Mund war ein

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