Kronhardt
einer Piste. So scheint der Mann sie alle mit seinem Bericht einzufangen, und bald klingen noch die Hekatomben von Abraum, die Installation der SüÃwasserpipelines oder auch der englische Rasen bis zum Horizont nur noch wie läppisches Vorspiel. Die wahre Herausforderung, sagt der Mann, offenbart sich zuletzt in den Feinheiten: Marmor oder Lapislazuli, Fayence oder Azulejos, Gold oder Silber, und rings in den Köpfen verdichten seine Worte.
Willem bringt es schlieÃlich auf den Punkt und nennt den Mann einen Schöpfer, der in der Wüste Sinn stiftet, wo zuvor alles sinnlos war. Und während noch alle nicken, während noch alle überlegen, ob Kapital aus dieser Geschichte zu schlagen sei, fragt Willem nach, ob mit Anschlägen gerechnet werden müsse. Ob die allgemein forcierte Degeneration auch in der Wüste bereits Kinder hervorgebracht habe, die mit Sprenggürteln ausstaffiert seien.
Treibs nicht zu weit.
Nein.
Wir haben wichtige Leute hier.
Na klar.
Willem.
Was?
Trinkst du zuviel?
Und er lacht und küÃt seine Frau.
Ein klassisches Dilemma, sagt er dann. Diese wichtigen Leute machen mich total nervös, und nervös rede ich totalen Mist. Andererseits werde ich immer besser, je mehr ich trinke.
Barbara gibt ihm einen Klaps. Siehst du den Kerl da drüben.
Welchen?
Mit der miesen Visage.
Miese Fresse ist relativ. Da seh ich auf Anhieb gleich fünf. Nein, warte, sechs.
Der mit dem silbernen Schlips.
Was ist mit dem?
Ich möchte, daà du dich mit ihm unterhältst.
Wozu soll das gut sein?
Einfach so.
Der sieht aus wie ein â
Willem!
Schon gut.
Der Mann ist Graf Kaltenhagen. Der Titel ist angeheiratet, und seine Frau ist die da.
Den Grafen unterhalten. Und sonst?
Nichts. Er soll sich wohl fühlen.
Laà uns tanzen.
Und danach plauderst du ein biÃchen, ja.
Ist er naturwissenschaftlich?
Keine Ahnung. Inéz und ich waren schon beide an ihm dran. Nichts zu wollen.
Wenn er sowieso nur angeheiratet ist, hat er doch nichts zu melden. Da kümmer ich mich lieber um die Gräfin.
Um die Gräfin kümmer ich mich. Komm, und so schlendern sie Arm in Arm durchs Landhaus. Lächeln charmant, sind jederzeit schlagfertig, und Willem schnappt noch nach einer Languste vom Büfett.
Die Paare tanzen im Schummerlicht, eine pulsierende Nähe im Rhythmus der Kapelle. Sie finden mühelos ihren Schritt.
Und das Klimakterium, sagt Willem.
Es ist nicht das Klimakterium.
Seit Wochen bist du launisch.
Seit Wochen keine Zigarette mehr.
Oh.
Ist dir nicht aufgefallen?
Ehrlich gesagt.
Und? Wie findest du das.
Mich hats nie gestört.
Manchmal macht es mich wahnsinnig.
Fang einfach wieder an.
Nein.
Heutzutage ist doch eh alles vergiftet.
Darum gehts nicht.
Die machen unsere Welt kaputt. Und die Raucher und Armen zu Sündenböcken.
Ich will nicht mehr abhängig sein.
Du wirst immer abhängig bleiben. Und auÃerdem hast du zugelegt.
Ich dachte, das gefällt dir.
So tanzen sie im Schummerlicht, und Willem freut sich, daà ihre zuletzt schwankende Stimmung so einfach begründet ist.
Auch nach auÃen scheint die hormonelle Umstellung keine Wirkung zu haben; ihr Gewebe ist fest, die Haut weich, und Willem kann nicht sagen, ob diese Effekte mit Spa-Resort zusammenhängen, Thai Fit oder Zumba â diesen Methoden gegen das Altern, die so schnell und international geworden sind, daà kaum eine Muttersprache noch Wurzeln dafür hat.
Er drückt Barbara an sich, spürt, wie Wechseljahre und Jugend in ewiger Anziehung verschmieren, in Reife und Weisheit, und als die Kapelle den SchluÃakkord in die Länge zieht, bis er schlieÃlich im Applaus verschmilzt, künden die Musiker mit dezenter Verbeugung eine Pause an.
Kaltenhagen ist ein unangenehmer Mensch; auf einer Höhe von sich überzeugt, die nur abwärts blicken läÃt, und Willem geht ihn fundamentalistisch an. Sexueller MiÃbrauch in den Kirchen, Todesstrafe, regierungsfeindliche Organisationen.
Und gleich darauf behauptet er, daà Erfolg und Fortschritt niemals stattfinden, wenn das eigene Handeln durchschnittlich bleibt. Er behauptet eine höhere Art des Denkens, die Erfolg und Fortschritt definiert und zugleich davor schützt, sich der Angst an die Brust zu werfen: dem Kosmos, dem Nichts â dieser ungeheuerlichen und elementarsten Angst des Menschen. Für uns indessen, sagt er, geht es um alles. Verehrter Graf, und er spricht
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