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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Wirklichkeit hatte mein Opa voll den Plan. Nur daß es keiner wußte. Alle dachten nur, der Alte hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Vor Stalingrad hatte er gesehen, wie einem Kameraden nach einem Treffer die rechte Hand vom Arm baumelte und wie der Kamerad die Fleischfäden einfach abgerissen und den blutigen Stumpen zum Hitlergruß gegen den russischen Himmel gestoßen hatte. Später in Sibirien konnten die Aufseher nur einen deutschen Satz: Gnade ist Schwäche. Und als Adenauer ihn dann nach Deutschland zurückholte, war die Heimat fremd geworden; niemand wollte was mit meinem Opa und seiner Vergangenheit zu tun haben.
    Also hatte mein Opa nicht alle Tassen im Schrank, und er sammelte seine Bude voll bis ins Klo. Zuletzt bunkerte er sich in einen Überseekoffer ein. Verstehn Sie, son riesiges Ding, und jede Menge Aufkleber: Montevideo, Valparaiso, und er driftete ab, warf Erinnerung und Einbildung zusammen, er verlotterte, hortete Speck, und als dann die Maden aus dem Speck kamen, mußte ich ihn einweisen.
    Burke lehnt sich zurück, leckt die Lippen, dampft.
    Willem sieht das Gesicht hinter dem Rauch und kommt nicht drauf, was an diesem Gesicht falsch sein könnte.
    Und wissen Sie was? In dem ganzen Chaos steckte in Wirklichkeit System. Eine wahre Goldgrube.
    Verstehe.
    Burke kichert.
    Willem sagt: Ihre Geschichte stinkt.
    Na klar. So wie die Geschichte mit Ihrem Vater.
    Kommen Sie zur Sache.
    Ja, was denn noch? Ich kann beweisen, daß Ihr Alter ermordet wurde.
    Verstehe.
    Na, hoppla. Der Mann gefällt mir. Mein Anwalt macht den Kaufvertrag, ich liefer, Sie zahlen. Rein netto Kassa. Genauso hatt ich mir das vorgestellt. Burke stößt gegen die Tonicflasche und fängt sie ungeschickt ab. Im Prinzip is mir das scheißegal, an wen ich verkaufe. Verstehn Sie. Entweder Sie zahlen, ums zu erfahren, oder wer anders zahlt dafür, daß Sies nicht erfahren. Er kichert.
    Wer?
    Das steht in den Familienpapieren.
    In Ordnung, Burke. Ich guck mir Ihr Material an.
    Hoppla, Sie sind ja n richtiger Gönner. Und mit der härteren Stimme: Ich hab Zündstoff. Richtig gut und richtig teuer.
    Wo kann ich Sie erreichen, Burke?
    Sie? Und er lehnt sich zurück und pafft. Da kümmer ich mich drum.
    Mit der Dunkelheit sind Wolken aufgezogen und feiner Regen. Willem nimmt die Brille ab, der Blick gegen die Stadt bleibt trüb. In der Stumpfen Spitze steht die Edelpunkerin hinter den Scheiben; sie blickt ihm hinterher, telefoniert.
    Auf der Hauptstraße bimmelt eine Straßenbahn, eine Gestalt mit Einkaufswagen humpelt davon. Willem schlägt den Kragen hoch, folgt der Bahn, und in einem türkischen Restaurant sieht er Hammelköpfe und Auberginen; das Gold der Männer, die wie Eingeweihte um die Tischchen hocken. Um die nächste Ecke steht ein Sprayer; Willem hört das Klackern der Kugel, riecht Treibgas, dann zischt es wieder, und als er vor der Wand steht, zieht die Farbe noch aus den Buchstaben: Es geht um alles. Was denkt sich ein junger Mensch, wenn er solche Aussagen an die Häuser bringt? Was weiß er von den anderen und den Zusammenhängen dieser Welt? Was hat Willem gewußt, als er so jung war wie dieser Sprayer?
    So zieht er weiter; die Lichter zersprühen im Niesel, und alles, was er von den Generationen nach ihm weiß, hat er aus zweiter Hand. Auch wenn er gewisse Grundlagen ihrer Welt erfassen kann – die brutale Zerstörung aller Natur, die Brutalität der Reichen und Superreichen, die Dimensionen der Armut und natürlich auch das Netz als neue Dimension –, weiß er nicht, wie diese jungen Menschen ticken. Es geht um alles, doch er kann nicht sagen, was für eine Wahrheit bei den Sprayern hinter so einem Satz steckt. Daß es in Wirklichkeit um nichts geht?
    Vorm Theater stehen ein paar Taxis.
    Der Fahrer weiß, wo es noch Blumen gibt. Willem kauft Lilien für Barbara und ein paar Gladiolen. Er bittet den Fahrer, Weg gegen die Hochstraße zu nehmen, und als sie aus dem Rembertikreisel stoßen, läßt er hinter der nächsten Ampel warten. Steigt aus und legt die Gladiolen für Patrizia ins Gras.

2
    Barbara ist schnell. Du bist ein Lump, sagt sie.
    Wegen der Lilien – wir nehmen die rote Vase. Gut?
    Du schaffst es immer wieder, und sie küßt ihn.
    Ehrlich. Du hast keinen Grund, sauer auf mich zu sein.
    Das sagst du immer.
    Weils stimmt.
    Und sie küßt ihn noch mal, dann nimmt sie seine Hand.
    Durch die

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