Kronhardt
verdichtet, ein Stadtteil verschmiert mit dem nächsten. Keine gewachsenen Strukturen mehr, keine eigenständige Geschichte, bald nichts, was noch vom Leben zurückliegender Generationen zeugt. Wo abgerissen wird, entstehen Altenheime; letzte Erinnerungen lösen sich auf zwischen Satellitenfernsehen und Demenz, und so zieht das Taxi voran. Von Einzelhandel und sozialen Oasen kaum noch eine Spur, und sogar die Supermärkte verschwinden. Die neuen Konzepte, meint Willem, gehen brutal ans Eingemachte, halten sich nicht mehr auf mit nationaler Identität und schalten endgültig auf die Idee einer alles erfassenden Monokultur.
Richtung Hafen tourt der Wagen sonor durch eine Grünphase; vorbei an der Stahlhütte, und dann ist von der alten StraÃenführung nichts mehr zu sehen. Die ausgeschlagene Strecke mit dem Kopfsteinpflaster ist einer Trasse gewichen, mehrspurig, glatt und geradlinig, und Willem hat keine Ahnung, wo die alte HafenrandstraÃe geblieben ist. Die Welt, durch die er mit Schlosser auf der Brennhexe gezogen ist, ist verschoben, zerschlagen, und auch die Rangierzüge und Bars sind nicht mehr zu sehen. Die Werft, wo Eisen zu Onassis gebogen wurde, ist im hart umkämpften Weltmarkt auf der Strecke geblieben, und auf dem riesigen Gelände sieht Willem jetzt ausgewachsene Spuren neoliberaler Kapitalagenturen â Strip-Malls, Shopping-Malls, Hypermärkte â, und auch die Ãberseebecken, wo einst die Dampfer zu Päckchen vertäut lagen, gibt es nicht mehr. Das Wasser ist weg, die Vertiefungen sind aufgefüllt, es wird mit stadtnaher Atmosphäre geworben, und eine schicke Szene hat sich dort bereits etabliert. So zieht das Taxi einwärts; geradlinig durch neuen Alltag, der vergeÃlich macht. Einmal kann Willem vom Fluà her den Malzgeruch der Brauerei riechen, doch der so vertraute Duft der Kaffeeröster bleibt aus. Der Weltmarkt ist in all seinen Teilen hart umkämpft, und es gibt nur noch wenige Riesen, die die Brocken unter sich aufteilen.
Kurz vor der Brill-Kreuzung steigt das neue Faulenviertel auf, ein Auswuchs der Innenstadt, glitzernd und gefräÃig, und auch die alte StraÃe, wo Doktor Blask seine Praxis hatte, ist weg. Der Platz, an dem Blask lachend und hackend seine Grundlagenforschung betrieb, und als das Taxi von der MartinistraÃe auf den Osterdeich gleitet, sieht Willem ein Ausflugsschiff, das zur groÃen Sonntagsrundfahrt losmacht.
In der Nähe der Theatergarage steigt er aus.
Den Deich rauf kommt kühle Luft, der Himmel ist blau, und die Sonne steigt auf flachem Bogen über die Stadt. Er quert die alte Prachtallee und taucht ein in die NebenstraÃen.
Eine Frau kommt aus der Stumpfen Spitze. Willem sieht ihre studiobraune Haut und die Spuren vom Botox in ihrem Gesicht. Sie beachtet ihn nicht, telefoniert, kramt in ihrer Handtasche, winkt zurück in den Laden.
Willem tritt ein und nimmt sich einen Hocker.
Der Mann hinterm Tresen blickt der Frau hinterher. Er lächelt, als sie den Geländewagen startet und dröhnend vom FuÃweg absetzt. Zu Willem sagt er: Wir haben noch geschlossen.
Seltsam.
Was ist seltsam daran. Der Mann ist groà und athletisch.
Daà man immer gleich Bescheid weiÃ. Dabei bin ich rein privat hier.
Der Mann verschränkt seine Arme. Was soll das heiÃen. Er trägt groÃe Ringe an den Fingern, die das Tresenlicht zurückwerfen.
Willem lächelt. Ich bin in der Obrigkeit gelandet, obwohl ich da niemals hinwollte. Natürlich hat man als Politiker eine Menge Sonderrechte, und man kann noch was drehen, wo andere längst keine Ansprüche mehr haben. Aber man bleibt seltsam beschlagen mit dieser Ausstrahlung, und wo immer ich auftauche, um ganz privat einen Kaffee zu trinken, meinen die Leute, ich will ihnen in die Eingeweide.
Der Mann nimmt die Arme auseinander und fährt sich über den Bürstenschnitt. Wie ein Politiker sehen Sie aber nicht aus.
Meine Fresse. Und Willem schlägt mit einer Hand auf den Tresen. Tut verdammt gut, das zu hören. Was glauben Sie wohl, wie ich zuweilen darunter leide. Wie gesagt, ich wollte niemals dahin, doch meine Alten haben mich reingepreÃt, und seitdem habe ich kein Privatleben mehr. Freunde sind Menschen, die meine Möglichkeiten benutzen wollen, und der Rest will mich entweder in die Pfanne hauen oder spuckt auf die Politik. Kann ich einen Kaffee bekommen?
Der Mann scheint nachzudenken. Politiker, sagen Sie?
Willem
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