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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Straßenseite gibts ne Gyrosbude. Noch ne Pita vorweg? Kühles Bier dazu?
    Willem sieht wieder auf die Uhr. Doch bevor er antwortet, hängt der mit dem Schnauzer schon am Telefon und gibt die Bestellung auf.
    Ich kann es mir eigentlich nicht leisten, noch mehr zu riskieren. Meine Frau ist bereits sauer auf mich.
    Andererseits können Sie nicht glauben, so einen Fall mal eben zwischen Tür und Angel anzugehen.
    Ich weiß.
    Und die Männer nehmen Willem in den Blick.
    Erinnern Sie sich noch an jenen Tag?
    Natürlich.
    Sie waren ein Knirps. Aus diesen Zeiten vergißt man das meiste.
    Sagen Sie. Ich kenne Männer, die waren unter den Nazis Knirpse, und die haben das meiste nicht vergessen. Und ich war ein Knirps, dem der Vater unter den Augen wegstarb.
    Der 7. Juli also.
    Da muß ich mich auf die Aussagen anderer verlassen. Beschwören kann ichs nicht.
    Wie war das Wetter?
    Mehr Sonne als Wolken.
    Wie lief der Tag ab?
    Nach dem Frühstück zogen mein Vater und ich los. Wir hatten fast nie ein bestimmtes Ziel; ließen uns hier- oder dahin treiben. An dem Tag waren wir im Bürgerpark. Meine Mutter und Kronhardt blieben zu Hause. Als wir zurückkamen, war der Mittagstisch gedeckt.
    Waren die beiden wirklich im Haus geblieben?
    Warum hätten sie das nicht tun sollen?
    Das wissen wir nicht.
    Soweit ich weiß, sind sie im Haus geblieben.
    Gut. Ansonsten irgend jemand, der Ihnen gefolgt ist?
    Keine Ahnung.
    Was Besonderes vorgefallen unterwegs?
    Ein Parkwächter hat uns aufgestöbert. Wir waren auf einen Baum geklettert, um die Welt von dort zu betrachten. Und weil wir den Wächter nicht ernst nahmen, hat er Radau geschlagen. Schließlich stand eine Traube von Sonntagsgängern um den Baum; sie glotzten und versuchten uns zwischen den Blättern auszumachen, und ihre Hunde kläfften. Als es uns zu blöd wurde, sind wir weitergezogen. Doch im Grunde war das nichts Besonderes. In der Welt mit meinem Vater gab es keine allzu große Schnittmenge mit der Welt der anderen.
    Und Ihr Vater war gut zuwege? Nichts Auffälliges?
    Alles bestens.
    Wann kamen Sie wieder zurück?
    Um zwölf war abgemacht. Wir waren ziemlich pünktlich.
    Wer hat das Essen zubereitet?
    Wie immer. Meine Mutter.
    Was gabs?
    Seewolf und Kartoffeln.
    Woher wissen Sie das noch so genau?
    Einerseits steht es im Obduktionsbefund. Andererseits weil mein Vater und ich späterhin Karkasse und Kopf untersuchten. Vor allem die Zähne. Und meine Mutter und Kronhardt machten deswegen Stunk.
    Wie groß war der Seewolf?
    Jeder hatte einen.
    Aha. Und die Art und Weise, wie Ihr Vater Ihnen das Leben nahebrachte, gefiel den beiden nicht?
    So kann mans sagen.
    Und nach dem Essen?
    Sind wir los. Meine Mutter nahm mich an die Hand, und Kronhardt hielt sich bei meinem Vater. Durch die Altstadt zur Weserpromenade und dann auf die Alk. Ich war froh, als wir an Bord waren, und mein Vater und ich suchten uns gleich einen Platz an der Reling. Die Flut kam rein, und auf der anderen Seite sahen wir, wie die Schilfgürtel vor der Teerhofinsel schrumpften; wir sahen den Möwen zu, und als das Schiffseisen dann vibrierte und der Kapitän einmal ins Horn stieß, bewegte sich die Stadt. Bald stellten wir uns vor, es wäre die ganze Welt, die sich bewegte, während wir in einem Zentrum ruhten; bald hatten wir das Gefühl, daß die Wirklichkeit sich auflöste. Eigentlich war es wie immer, wenn wir zusammen waren, und so standen wir an der Reling.
    Später mußte mein Vater aufs Klo. Er grinste, und beide ahnten wir nicht, daß wir uns zum letzten Mal sehen würden. Ich selbst merkte nicht, wie die Zeit verging. Rings die Wirklichkeit blieb aufgelöst, und erst als ich einen Tumult vom Achterschiff mitkriegte, wurde mir wieder bewußt, daß wir auf der Alk waren. Zuerst wollte ich nur meinen Vater suchen. Doch als plötzlich meine Mutter auf mich zukam und versuchte, mich von dem Tumult fernzuhalten, bekam ich es mit der Angst. Ich wußte plötzlich, daß mein Vater schon viel zu lange weggeblieben war, ich lief meiner Mutter davon und hinein in den Tumult. Ich sah zu, wie Kronhardt und der Matrose die Klotür aufbrachen, und hinter der zertrümmerten Tür lag dann mein Vater. Das heißt, die Kabine war viel zu klein, um darin zu liegen. Er war zusammengesackt, und sein Kopf kam auch gleich aus den Trümmern gekullert.
    Und Ihre Mutter?
    Es war Getümmel. Alle wollten was sehen.

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