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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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ihrer Stadt, die Motive ihrer Herzen nicht nehmen lassen. Die Möglichkeiten von Heimtücke oder Amok scheinen im gemeinsamen Schlag zu minimieren, in der Lust von Buden und Passagen. Und Willem ist immer wieder darüber erstaunt, wie viele Menschen bereits eine mobile Miniausrüstung benutzen. Während noch vor kurzem jedes Selbstgespräch in der Öffentlichkeit verdächtig wirken mußte, wird es heute zum vertrauten Anblick. Mit der Welt verbunden, hat man beide Hände frei; kann essen und trinken; kann über Kontinente und Gebirgsketten hinweg seinem Erlöser nahe sein, bevor man den Rucksack zündet.
    So zieht Willem durch die Passagen. Wo eine Berührung nachläßt, baut sich die nächste auf, ein endloser Strom fremder Leiber; sprechende Köpfe, schlingende Köpfe, ein endloses Walken durch endlose Innereien, während rings die Weihnachtsfarben glänzen. Die Buden und Gerüche und die Straßenmusiker erzeugen eine wunderbare Sehnsucht, eine himmelwärts strebende Melodie der Völker, als hätte es Grenzen und dunkle Geschichte nie gegeben, als wären noch die Passagen mit den flimmernden Bildern einer maghrebinischen Revolution Teil jener tiefen Geborgenheit, als die Sippen bei Feuerschein und Knochenflöte zusammenrückten. So zieht Willem dahin; ein Penner kreuzt seinen Weg, erbeutet ein paar Reste und verteidigt sie mit einer Krücke gegen die Tauben. Rings hocken einige Straßenkinder, und Willem meint, daß immerhin ihre Hunde glücklich erscheinen; er ahnt die Welt zwischen Nase und Magen, das Stromerleben und die eingefleischten Merkmale von Wacht und Hut. Er sieht eine Frau ohne Unterleib, die aus ihrem Rollstuhl heraus diesen Hunden ein paar Brocken zuwirft; er sieht einen Sprayer, der im Gedränge den Pelz einer Dame markiert; ein Polizist wird mit Ketchup bespritzt, und so steigt die sippenhafte Geborgenheit, so steigt der vom Innenminister befeuerte Mut bald himmelwärts und durchdringt die leuchtenden Festtagsmotive so mühelos wie die Straßenmusik. So verschmieren die Aufnahmen aus dem Maghreb oder sonstwo im Netz der Passagen; im Strom globalisierter Handlungen, die alle Merkmale ferner Schlachtfelder in hiesige Arglosigkeit verwandeln; Chipkarten zu ewigem Heim, zu Gänsebraten und Frieden, und so zieht Willem durch die Passagen.
    Als das Speicherhaus bereits in Sicht ist, taucht der Penner mit der Krücke wieder auf. Willem sieht, wie die Leute ihm den Weg freigeben, und womöglich ist es sein imposanter Bart, mit dem er sich Respekt verschafft. Er trägt ein altes Bauernkäppi, dazu eine Art Ulster, und Willem ahnt, daß der Mantel einmal teuer war. Die Taschen sind ausgebeult, ein Flaschenhals ist zu sehen, und beinah unsichtbar hinter seinem Bart scheint der Penner Selbstgespräche zu führen. Vielleicht telefoniert er auch, doch Willem kann keine Ausrüstung entdecken.
    Heda, Freundchen!
    Ein Polizist tritt aus der Menge, und der Penner drückt sich in die Krücke.
    Willem sieht, daß der Polizist Ketchup am Kragen hat.
    Hat der Mann Sie belästigt, mein Herr?
    Willem sagt: Der Mann hat nichts getan.
    Na-na-na, mit Ihnen rede ich gleich. Und zu dem Penner: Nun?
    Der Penner hält sich gestützt und salutiert. Jawoll, Herr Kommissar.
    Was heißt hier jawoll?
    Nein, Herr Kommissar.
    Er hat Sie also nicht belästigt.
    Korrekt, Herr Kommissar.
    So so. Und zu Willem: Ihre Papiere, Freundchen.
    Ein paar Schaulustige bleiben stehen, doch der Polizist hat keine Mühe, sie zu zerstreuen.
    Nun, sagt er und wippt auf den Absätzen.
    Warum soll ich Ihnen meine Papiere zeigen?
    Weil ich Sie dazu auffordere.
    Mit welcher Begründung?
    Daß ich Polizist bin, sollte genügen.
    Der Penner mischt sich ein. Besser, Sie tun, was der Kommissar verlangt.
    Diese Willkür gefällt mir nicht.
    Willkür, sagt der Polizist und wippt. Und dann: Wo ist Ihre Jacke?
    Willem betrachtet den Polizisten und kratzt sich am Kopf. Dann sagt er: Wir stecken mitten im Klimawandel.
    Klimawandel interessiert mich nicht. Wer um diese Jahreszeit keine Jacke trägt, macht sich automatisch verdächtig. Und er zeigt auf den Penner. Schauen Sie, das nenn ich korrekt. Ein feiner Mantel, wie es sich gehört.
    Der Penner scheint sich geehrt zu fühlen. Er zieht die Flasche hervor und sagt: Darf ich dem Herrn Kommissar ein Schlückchen anbieten?
    Darüber läßt sich reden. Aber erst mal muß ich mit

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