Kronhardt
bebaut, und hinter der Silhouette der Bierbrauerei steigen Maischdämpfe auf.
Er sieht die beiden Männer erst, als sie sich zu ihm auf die Bank setzen. Einer trägt einen Schnauzer, der andere hat eine Zahnlücke, und sie kommen auch gleich zur Sache. Wir haben den Richter aufgetrieben, sagen sie.
Den Richter?
Der Mann, der über die zweite Obduktion bei Ihrem Vater zu entscheiden hatte.
Dann ist Willem bei der Sache. Na klar, sagt er.
Franz Daniel Fahrenheit, sagen die Detektive. Und tatsächlich ist unser Richter verwandt mit dem Erfinder des Quecksilberthermometers.
Ich dachte, das war Celsius.
Quatsch. Der Schwede hat Gefrier- und Siedepunkt des Wassers festgesetzt und dazu eine entsprechende Skala entwickelt.
Womöglich haben Sie recht.
Der Richter Fahrenheit jedenfalls hätte diese zweite Leichenöffnung bei Ihrem Vater ohne weiteres anordnen können. Daà er es nicht getan hat, wirft eine Frage auf: Warum nicht? Und wir haben darauf zwei Antworten konstruiert: Erstens, Fahrenheit war korrupt; zweitens, er war nicht korrupt.
Und weil wir grundsätzlich davon ausgehen, daà die Menschen mit dem Aufdämmern des eigenen BewuÃtseins zugleich einen Sinn für den eigenen Vorteil entwickelten, schien es uns von Anfang an wahrscheinlicher, daà Fahrenheit korrupt war. So entwickelten wir die Hypothese, daà Fahrenheit bestochen wurde, um die Zweitobduktion abzuschmettern. Und daraus ergab sich dann für uns die Frage, wer damals sowohl Interesse wie auch Möglichkeit hatte, einen Richter zu manipulieren. Nun? sagen die Detektive und sehen Willem an.
Und als Willem nichts sagt, machen sie weiter. Ein Interesse hätte jeder haben können, der die wahren Umstände um den Tod Ihres Vaters kannte und nicht wollte, daà sie aufgedeckt wurden. Und die Möglichkeit, Fahrenheit für sich einzunehmen, konnte nur haben, wer etwas über ihn wuÃte, was ihn auch als Richter belasten würde.
Wir haben uns entschieden, zuerst in Fahrenheits Vergangenheit zu stöbern. Vor allem deshalb, weil wir es für eine Abkürzung hielten; wir wollten Beweggründe aufdecken, die Fahrenheit zu einem möglichen AmtsmiÃbrauch hätten verleiten können, und hofften zugleich, dabei auf Namen zu stoÃen, die wir mit Ihrem Vater in Zusammenhang bringen könnten.
Die Detektive machen ein Gesicht.
Meist basiert unsere Arbeit auf dem einfachen Prinzip, lieber das zu nehmen, was vorhanden ist, anstatt mit Hypothesen zu hantieren, die nicht vorhanden sind. Doch manchmal kommen wir um Vermutungen nicht herum, und wie Sie ja wissen, halten wir uns dann an ein anderes Prinzip, nach dem die wahrscheinlichen Hypothesen der Wahrheit in der Regel näher kommen als die unwahrscheinlichen. Auf Fahrenheit bezogen erschien es uns also wahrscheinlicher als nicht, daà er sich in der Nazizeit etwas zuschulden kommen lieÃ. Daà also der Richter Fahrenheit aufgrund seiner Vergangenheit korrumpierbar war.
Nun, sagen die Detektive. Unser Prinzip hat bei Fahrenheit nicht gegriffen. Er ist ein integrer Mann, und wir müssen den Hut vor ihm ziehen. Wir haben aufgedeckt, daà Fahrenheit unter den Nazis ein vielversprechender Assessor gewesen ist. Er galt als redegewandt, scharfsinnig und theoretisch sehr beschlagen. Doch er zweifelte an den Nürnberger Gesetzen, und weder das Versprechen auf eine steile Laufbahn noch der familiäre Appell an seine Gesinnung konnten seine Bedenken zerstreuen. Er wurde wegen semitischer Befangenheit von den Rechtswissenschaften ausgeschlossen, und weil er auch danach nicht aufhörte, die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren, wurde er in ein Arbeitslager verbracht. Er war noch am Leben, als die Tommys das Lager befreiten.
Schon bald nach dem Krieg nahm Fahrenheit seine Juristenlaufbahn wieder auf, und aufgrund seiner lauteren Vergangenheit brachte er es mit Hilfe der Siegermächte schnell auf einen Richterstuhl.
Fahrenheit gehörte also zur ersten Richtergeneration im Nachkriegsdeutschland. Er verhandelte ausschlieÃlich zivile Prozesse, und vor allem sein kompromiÃloses Prinzip der Gleichbehandlung machte ihn über die Jahre legendär. Er weigerte sich, die Angeklagten aus ihrer persönlichen Geschichte heraus zu betrachten, weil jeder einzelne so komplex und grausam in die deutsche Katastrophe verstrickt sein konnte, daà eine objektive Beurteilung zuletzt unmöglich sein muÃte. Als Richter interessierte
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