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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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der 60er gescheitert waren, geriet Eddiboy bald in Gefahr, sich vollends in den Vervielfältigungen des neuen Jahrtausends zu verlieren.
    Die Unberechenbarkeit der neuen Globalepoche bringt bis heute in rasantem Tempo Milliardäre wie Bankrotteure hervor; Strategien und Gesetze entfernen die Kapitalströme immer weiter von der Masse, an Banken und Börsen wird hemmungslos mit den Volkswirtschaften ganzer Nationen spekuliert, und immer stehen Heuschreckenfirmen parat, um noch die Reste gewinnmaximierend zu zerschlagen. Und Edgar Konetzke ist genau der Typ, der im Sog solch skrupelloser Zeiten alles Maß verliert und zuletzt, umnebelt von Selbstüberschätzung wie ehedem sein Vater, der Lottokönig, vom Thron in die Gosse stürzt. Und tatsächlich entwickelte er nach seinen Überraschungserfolgen Phantasien einer persönlichen Osterweiterung; er interessierte sich für Investitionsmöglichkeiten in den ehemals sowjetischen Trabanten, er knüpfte Kontakte, investierte in Fonds und zog auf Anhieb hohe Renditen. Sein Bedarf an Luxus steigerte sich und auch sein Bedürfnis, ganz eindeutig zu markieren, was für eine große Nummer er war, und so investierte er bald mehr in die Fonds. Er verlor, was er gewonnen hatte, wollte es wiederhaben, investierte erneut, und womöglich wäre Eddi heute bankrott, wenn es die Geschehnisse vom 11. September nicht gegeben hätte.
    Es geschah nachmittags gegen 15 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Eddi und seine Leute saßen in der Studio-Bar, hinter dem Tresen hing ein nagelneues Plasmamodell. Sie hatten Drinks, ein paar Snacks dazu, sie schwatzten und lachten, und es dauerte eine Weile, bis jemand die Fernsehbilder erfaßte. Anfangs glaubten die meisten noch an hochgezüchtete Effekte aus Hollywood, sie diskutierten die computergestützten Möglichkeiten zur Animation und berauschten sich am brennenden Zwillingsturm. Das Neue York in Flammen, riefen sie, stießen an, doch als plötzlich der zweite Flieger im Plasma erschien, dazu die Schreie durch den Äther: ohmygod!, da wurde ihnen im Studio klar, daß dort kein Hollywoodstreifen lief, sondern alle Dramatik echt war und sie in Echtzeit dabei waren. Als sie dann den Flieger in den zweiten Turm eintauchen sahen, verschnürten ihre Kehlen, und sogar ein hartgesottener Kerl wie der Serbe gurgelte nur noch. Und im Studio konnten sie spüren, wie diese unglaubliche Dramatik die ganze Welt erfaßte, während das Oh-my-god aus dem Äther, die Flammen sich in jedem Winkel dieser Welt bündelten.
    Eddi und seine Leute blieben in der Studio-Bar; sie schoben Pizza oder Nuggets in die Mikrowelle, mischten Drinks, diskutierten, und als die Doppeltürme endgültig fielen, sahen sie die Wolke wie einen Pilz gegen das Universum auffahren. Konetzke glaubte nicht an arabische Terroristen und behauptete bis in die Nacht hinein, daß die Bush-Leute selber hinter den Anschlägen steckten. Es war ihm egal, was sie im Studio oder sonstwo dazu sagten. Konetzke war an diesem Septembertag überzeugt davon, Zeuge einer Inszenierung geworden zu sein. Eine in alle Winkel der Welt gebrachte Definition von Gut und Böse, eine Legitimation zu Krieg und noch schärferen Gesetzen, die zuletzt auch ihn von den großen Kapitalströmen abschneiden würden. Womöglich ahnte er an diesem Tag, daß die Geschehnisse in New York die Zeiten nochmals beschleunigen würden; daß es Menschen gab, die ungeheuerliche Systeme zur Macht um sich herum gebündelt hatten und die jederzeit darangehen konnten, die Überlebensstrukturen für den Rest der Welt extrem schwierig zu gestalten. Egal, ob aus Ideologie, aus Eigennutz oder was auch immer, diese Menschen, meinte Eddi, konnten jede Katastrophe, die sie inszenierten, legalisieren.
    Dieser 11. September, sagen die Detektive, scheint Edgar Konetzke in seiner Selbsteinschätzung ein bißchen gestutzt zu haben. Anscheinend sah er ein, doch nicht die ganz große Nummer zu sein, für die er sich gehalten hatte, und noch die Männer, die ihn mit den Renditen zu immer höheren Einlagen in ihre Geschäfte gelockt hatten, schienen eine andere Kragenweite zu haben als er. Und so zog Konetzke sich nach jenem September aus den Fonds- und Risikogeschäften zurück. Im Verbund mit der Engelschen schien er seine großspurige Art in den Griff zu kriegen, er gewöhnte sich einen eher moderaten Luxus an, und während ringsherum

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