Kronhardt
spüren das Basso continuo. Wie es in die Muscheln fällt â sanfte Schichten der Zeit, die sich einwärts in den Windungen ausbreiten und bald den Raum dehnen. Sie küssen sich, spüren ihre Hände. Das Gleiten im BaÃ, die Schlüpfrigkeit mit dem Cembalo. Später haben sie für die gegenseitige Tiefe kein Lot mehr, und sie liegen auf dem Bett, einer im Glück des anderen.
Zum Abend hin haben sie einen Single Malt auf dem Balkon und Seeblick. Auch das Rauschen und die Gerüche sind uralt, und so sitzen sie eng beieinander.
Sie essen im Kolonialclub. Danach machen sie einen Abstecher in den Orientsaal; der präparierte Tiger ist noch da, der Elefantenkopf und die mächtige Karte vom Commonwealth. Auch später, als sie durch den Royal Pavillion schlendern, scheint nichts verändert; Bärlapp und Farn wuchern in viktorianischer Treibhausluft, und dazwischen stehen die Dinosaurier mit ihrem unerschütterlichen Ausdruck.
Das Kingpin gibt es nicht mehr. Die alte Fassade ist aufgemotzt, das in der Salzluft schwingende Schild verschwunden. Aus der schneeweiÃen Farbe sticht jetzt eine goldene Schrift, blau hinterleuchtet, und Barbara erkennt schnell, was die kyrillischen Buchstaben bedeuten. Oblomow, sagt sie, und so scheint aus dem Pub eine geschlossene Gesellschaft geworden, Zobel und Krimsekt und unerreichbar für die einstigen Fischer und Proleten.
Das Kittiwake steht noch da. Das Schild schaukelt, die Holztür klemmt wie eh, doch drinnen ist nichts mehr wie früher. Die Menschen erscheinen jung und selbstgefällig und sitzen unter Laserwürfeln, die alles mit endlos neuen Bildern überziehen. Mondlandschaften und Propagandareden fahren wie Schatten über Möbel und Körper, Börsen- und Koitusszenen, und auch die elektronische Musik ist zu Endlosschleifen gekoppelt. Anstatt der alten Hausmannskost, kipper oder mutton chop, wird Design serviert, der Whisky ist teuer, und auf den Tischen sind Laptop und Webcam installiert. Nach dem dritten Whisky probieren sie es aus und sind überrascht, wie der Austausch über ein paar Tische hinweg alles verändert. Wie rings die Atmosphäre den Cyberspace steigert und beide eingesaugt werden auf eine Art, die alles möglich zu machen scheint.
Am nächsten Morgen frühstücken sie im Bett. Die englische Marmelade ist hart, und Barbara springt ein Brocken vom Löffel direkt in den Ausschnitt. Willem ahnt bald, wie ihr Schweià durch das bittersüÃe Aroma dringt, wie ihre Augäpfel hinter den Lidern rollen, und so leckt er ihre flimmernde Bauchdecke, geborgen in den dunklen StöÃen ihres Atems.
Als gegen Mittag die Sonne den Balkon erreicht, liegt der Meeresgrund frei; der Schlick ist gewellt, und manchmal langen glitzernde Furchen bis in die Fahrrinne. Eine Brise trägt die Gerüche aufwärts, Möwen segeln dahin, und aus dem Horizont treiben einzelne Wolken. Sie haben die Beine hochgelegt, trinken WeiÃwein; sie spüren den Frühling auf der Haut, und später spazieren sie barfuà am Strand.
Zum Tee sind sie mit Roderick verabredet.
Er hat sich auf seine alten Tage für ein Apartment im Seniorenheim entschieden, ein schmucker Neubau mit parkähnlichem Garten und einem Heckenlabyrinth, das bis an die viktorianischen Gewächshäuser führt.
Als sie ankommen, hören sie Rodericks Stimme bereits aus dem Saal; dann vornehmes Lachen und bald entzückte Rufe: Oh, Ernest! So sitzt der alte Knabe in seinem Rollstuhl, tadellos gekleidet, und auch die Damen ringsherum erscheinen im Glanz einer längst vergangenen Zeit.
Für seine Gäste steht er auf und stützt sich mit knorriger Hand auf den Stock. Als Barbara ihn umarmt, leuchten seine Augen, und danach dauert es eine Weile, bis er die Rührung aus seiner Stimme kriegt. Das sind sie, sagt er in die Runde, my beloved Krauts, und er hält sich fest an Barbaras Hand. Diesen Menschen habe er nun seine Schätze anvertraut, und diese Menschen machten ihm das Ende der königlichen Herrenausstatterlinie und seine alten Tage erträglich. Beziehungsweise, sagt er, und blickt auf die Damenrunde: Ohne die köstliche Gesellschaft hier hätte er sich längst den Hintern wundgelegen. Und Trost in seiner Verbitterung nur noch in den zarten Händen der Pflegerinnen empfunden. Doch was wüÃten solche jungen Dinger schon vom Leben? Wie sollten sie tiefen Trost spenden, wenn sie niemals den Himmel
Weitere Kostenlose Bücher