Kronhardt
Hochrüstung gelassen; er hat einen Platz am Fenster, und dahinter steigt das neue London auf wie aus einer steilwandigen Schlucht. Als sie aus den Stadträndern westwärts ziehen, beschleunigt der Earl, und sobald sie freies Land erreichen, fahren bei jedem Sonneneinfall automatische Blenden vor die Fenster und sperren bald jede Aussicht. Willem sieht Barbara an und macht ein gutmütiges Gesicht. Dann holt er eine Flasche vor und lädt, wie in den alten Zeiten, die Sitznachbarn auf ein Gläschen ein. Doch sie lehnen ab; blicken kaum auf von ihren Computern oder Telefonen, und als Barbara und Willem dann anstoÃen, erscheint der Security-Service. Ein Mann in Schwarz, der höflich darauf hinweist, daà der Graf von Schottland einen Salonwagen hat, in dem bordeigene Getränke konsumiert werden können. Willem lacht; ganz in der Tradition englischer Höflichkeit, nichtwahr, und formuliert seinen Wunsch dann so, daà dem Security-Mann nur eine Möglichkeit bleibt, nicht grob zu erscheinen. Und so hebt Willem das Glas. Tatsächlich bleibt der Mann höflich, und auch seine Kollegen, die kurz darauf erscheinen, benutzen bei aller Bestimmtheit sehr wohlklingende Formulierungen. Lächelnd nehmen Barbara und Willem den letzten Schluck, dann verschwindet der Single Malt im Koffer. Ihre Sitznachbarn scheint die ganze Szene nicht zu interessieren.
Willem kann nicht sagen, ob sie dieselbe Strecke fahren wie damals. Das Auf und Ab der Blenden zerstückelt alle Erinnerung, und so zieht auf der einen Seite womöglich Kent vorüber, auf der anderen Stratford-upon-Avon, und auch die Kreidefelsen sind kaum mehr als eine Erhebung hinter der Stirn.
Ungefähr auf halber Strecke geht er noch mal an den Koffer und holt den Whisky vor. Zieht das Taschenfläschchen aus dem Jackett und läÃt es vollaufen. Danach sucht er das Bordklo auf, stellt sich an die Milchglasscheibe und trinkt.
Auf dem Rückweg begegnet ihm eine groÃe Frau im Gang. Vielleicht die Frau vom Taxistand, vielleicht Dagmar Margulis, und Willem spürt den Whisky und fackelt nicht lange. Endlich, sagt er. Ich habe Sie schon gesucht.
Er schätzt die Frau auf Anfang 50, sie wirkt körperlich auf Zack, und er muà aufblicken. Ich habe das Material. Konetzke hat mich eingeweiht.
Die Frau macht ein distinguiertes Gesicht und zerfächert seinen Atem. Dann erlaubt sie sich, ihren Weg fortzusetzen.
Barbara hört sich die Geschichte an. Danach nimmt sie seine Hand und sagt in etwa die gleichen Worte wie unlängst der Detektiv: Wenn Willem sich von jeder groÃen Frau verfolgt fühle, könne er für den Rest seines Lebens einpacken. Und was den Fall seines Vaters betreffe, habe sie schon den Eindruck gewonnen, daà Ramow&Ramow ihr Handwerk verstünden. Sie halte es für klug, weiterhin im Hintergrund zu bleiben, während die Detektive investigierten.
Die Einfahrt nach Brighton bleibt hinter den Blenden verborgen.
Sie nehmen die Reduktion der Geschwindigkeit wahr, ahnen, wie die Masse von der Anhöhe abwärts gleitet, und so entwickeln sie ihre Bilder zur Ankunft. Sehen noch einmal das Städtchen von damals, lieblich gegen das Meer gestellt, die schmale StraÃe entlang der Küste, und dann gleiten die Blenden von den Fenstern, und der Earl kommt zum Stehen.
Als sie aussteigen, stoÃen sie in Hypertrophie. Aus dem schmucken Rotsteinbahnhof wuchern Glas und Beton, und drauÃen sehen sie bald, daà die einst vom seewärtigen Wind gemaserte Altstadt wie neu dasteht. Noch das weich gewellte Hinterland scheint rostfrei poliert, und als Willem die groÃe Frau aus dem Zug wiedersieht, wird ihr der Schlag einer glänzenden Limousine aufgehalten.
Das Hotel steht auf den Klippen, die Bedienstschaft ist livriert, und aus der Halle schwingen sich zwei Freitreppen auf eine Balustrade. Beim Einchecken hat Willem den Eindruck, daà ihre Gesichter biometrisch erfaÃt werden, und im Zimmer funktioniert alles über eine Chipkarte. Sie haben Seeblick und Television, und auf dem groÃen Bildschirm stehen ihre Namen: Welcome Mister und Mrs. Die schweren Gardinen vor der Fensterreihe lassen sich mit der Chipkarte zusammenfahren, und auch die Tür zum Balkon öffnet so. Ãber Karte läÃt sich jede Musik installieren, und als sie gemeinsam baden, hat Willem sich für Bachmusik entschieden. Cembalokonzerte, und so liegen sie ineinander, werden von der schwülen Luft getragen und
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