Kronhardt
Nummer eins erledigt. Und da erwartet man natürlich auch hier eine neue Anschlagswelle. Bin Laden ist tot, es lebe Bin Laden. Verstehen Sie?
Gibt es für den Flughafen eine Bombendrohung?
Ach was. Schon daà es nach der Hinrichtung eine Bombendrohung geben könnte, reicht doch. Hierzulande beklagt sich niemand, wenn Schutz und Ãberwachung immer weiter getrieben werden. Wenn noch das ganze Mutterland ausgebaut wird zu Benthams Panopticon. Verstehen Sie, das Recht des einzelnen auf Integrität und persönliche Freiheit ist längst dahin. Umgewandelt in ein Recht auf staatsverwalteten Schutz, und schon heute wird der öffentliche Raum von unzähligen Kameras erfaÃt. Und nicht mehr lange, dann werden Satelliten den einzelnen jederzeit und überall erfassen und identifizieren können. Und sogar seine Worte und Gedanken werden erfaÃt, verstehen Sie. Schon heute gibt es Programme für die Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer â zum Lippenlesen, aber auch, um Gedanken sichtbar zu machen und in eine Schrift umzuwandeln. Und andersherum lassen sich bereits ganz gezielte Erinnerungsbereiche im Gehirn löschen. Der Taxifahrer lacht und schlägt auf seine Melone. Verstehen Sie, wenn das so weitergeht, muà ich mir einen Bleihelm zulegen, damit die Satelliten nicht meine Gedanken aufspüren.
So rollt das Taxi Richtung Flughafen, der Fahrer lacht, er klopft auf seine Melone und redet munter weiter. Autos haben die Menschen verändert, sagt er; Telefon und Fernsehen, und jetzt wirken Computer und Satelliten, und alle finden die Ãberwachung gut. Finden die Hinrichtung von Staatsfeinden gut und sind tief überzeugt, daà ihre Mörder bessere Menschen sind. Daà sie ein gottgegebenes Recht haben auf ihre Freudenfeuer am Ground Zero und auf die Helmkameras ihrer Spezialeinheiten, die Echtzeitaktionen mit Hollywoodeffekt aus jedem Winkel der Welt ins WeiÃe Haus liefern können.
Tatsächlich scheinen die Sicherheitskontrollen am Flughafen verschärft, und die Passagiere drängen bereits vor den Eingängen. Barbara stöhnt auf. Der Taxifahrer lacht, dann holt er die Koffer. Willem meint, daà man anstatt mit Melone vielleicht auch mit Perücke arbeiten könne, ein unauffälliges Modell mit integrierter Bleischicht, und zum Abschied gibt er dem Mann die Hand.
Barbara zieht das versilberte Fläschchen aus Willems Innentasche, trinkt und lächelt schief. Zu Zeiten der Oberon, meint sie, war das Reisen eindeutig angenehmer.
11
Es hat seit Wochen nicht geregnet, der Wind treibt Büschel über die Chaussee, und manchmal verwirbelt loser Sand. Barbara zieht den Jaguar durch eine langgestreckte Kurve abwärts, und in der Senke streifen sie die Auwaldreste. Willem sieht, daà der Wasserstand gefallen ist. Dann nehmen sie Weg durch die Hafenanlagen.
Der Eingang zu Kronhardt&Focke ist noch verschlossen, doch die Tuchwaren haben schon geöffnet. Inéz kommt lächelnd aus den Kolonnaden, als die Türglocke anschlägt; sie umarmt beide, und aus dem Atelier steigt frischer Kaffeeduft. Willem bleibt auf eine Tasse, dann läÃt er die Frauen alleine.
Im Spitzgiebel öffnet er die verglasten Sprossentüren; der Wind greift in die Takelage, die Blöcke schaukeln, und er spürt kontinentale Trockenheit. Ãber den Domspitzen zieht ein Wölkchen, und in der Morgensonne leuchtet die Patina der Altstadt. Er legt arabische Lautenmusik auf, geht die Papiere auf seinem Schreibtisch durch, führt zwei, drei kurze Gespräche am Telefon, und dann legt er sich aufs Sofa. Aus den Boxen jetzt höfische Tänze aus dem Mittelalter, er blättert ein biÃchen in den Fachzeitschriften und zieht schlieÃlich die Aufzeichnungen eines Jägers hervor. Bald wird er von der wunderbaren Kraft Turgenjews erfaÃt â eine Reise, ohne sich fortzubewegen, meint er, und so spaziert er durch Raum und Zeit, sieht Wachteln auffliegen oder hört eine Kutsche durch die Landschaft rattern.
Als ihr Klopfen durch die Tür dringt, nimmt er es nicht wahr. Auch nicht ihren Kopf, der im Spalt erscheint, und den vertrauten Blick, mit dem sie nach seinen Augen sucht. Erst als sie ihn anspricht, nimmt er das Buch herunter. Lächelt aus einer Ferne, hört das Rascheln ihrer Kleider und ahnt die Bewegungen hinter dem Ostblockcharme.
Dann dringt ihre Spur in seine Nase, und er sieht auf. Ihr Gesicht, ihr ganzes Wesen erscheint, als käme
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