Kronhardt
sie aus Turgenjews Zeit. Katja, sagt er. Doch es dauert noch, bis seine Stimme in der Gegenwart angekommen ist.
Dann sieht er ihre blasse Gesichtsfarbe und die Ringe unter den Augen. Katja, sagt er, was ist passiert? Und einen Moment lang glaubt er, daà sie einsinken wird. Ihre Muskeln zittern, doch sie hält sich aufrecht. Auch die Tränen hält sie zurück.
Katja â¦
Sie schüttelt den Kopf, antwortet nicht.
So stehen sie da, die Berge aus Jawlenskys Landschaft leuchten violett im Morgenlicht, und er streichelt ihren Rücken.
Ich habe wieder angefangen, flüstert sie schlieÃlich.
Was meinen Sie?
Es ist schrecklich. Wie damals.
Katja â¦
Und nachts wache ich auf. Ich weià nicht, wie oft, und stehe am Fenster.
Was ist geschehen, Katja?
Boris. Sie hatten zwei ausverkaufte Konzerte in Leipzig. Danach fuhren sie auf das Festival in Dänemark. Boris hat es aber so gedreht, daà sie einen Zwischenstopp in Berlin machen konnten. Und dann ist er wieder hingegangen. Er macht es wieder und wieder.
Zu den Stasiakten?
Unsere Tochter ⦠Tatjana ⦠Es ist ein Trauma, und Boris wird so lange hingehen, bis er weiÃ, wer uns das angetan hat. Und dann wird er an dem Wissen zerbrechen; und auch wenn ich ihn davon abbringen könnte, irgend jemanden aufzudecken, wird er zerbrechen. Unsere Vergangenheit ist ein Dilemma.
Katja ⦠Doch ihm fehlen die Worte, und er zieht sie an sich.
Es ist noch schlimmer als damals, als wir zum ersten Mal dort waren. Damals wuÃten wir nur, daà sie uns bespitzelt haben. Doch jetzt bringt Boris immer neue Einzelheiten hervor. Er spricht kaum darüber, aber ich spüre, daà ihn eine Ahnung einschnürt; ich kann seine Angst sehen, und wenn er seine Musik nicht hätte ⦠Ich weià es nicht, Willem.
Und Sie, Katja?
Nachts wache ich auf und gehe ans Fenster. Ich habe nie geraucht und nie viel getrunken. Doch jetzt stehe ich nachts am Fenster und rauche. Und am Wochenende waren wir aus, und ich habe mich betrunken. Boris trinkt nicht, und zuletzt habe ich geweint, und er hat dagesessen und geschwiegen.
Willem rauft sich die Haare. Was soll man tun, Katja? Und dann führt er sie zum Sofa und macht ihr einen Kaffee. Legt Mozart auf, bringt Schokolade mit und setzt sich in den Sessel.
Solange man die Vergangenheit nicht überwinden kann, sagt er, bleibt sie jeden neuen Tag eine Aufgabe. Ich glaube aber, daà es Wege zur Ãberwindung gibt. Vielleicht für jeden einen eigenen, und so hat mein Vater beispielsweise das Jetzt befeuert gegen die Schatten seiner Vergangenheit. Barbaras Vater wiederum hat aus der Vergangenheit heraus für die Zukunft geplant und zugleich in der Gegenwart so gehandelt, als wäre alles eine letzte Tat. Ich selber, Katja, sehe zu, daà ich in gutem Kontakt zu mir bleibe; ich blicke zurück, ich wandle um und freue mich, wenn ich das Stille und Angenehme in mir pflegen kann.
So sitzen sie. Aus den Boxen ein Klavierkonzert, drauÃen greift der Wind in Manilahanf und Blöcke, und über der Altstadtpatina segeln weitere Wölkchen.
Als Barbara unerwartet eintritt, spricht sie bereits, bevor sie die Situation erfaÃt. Dann hält sie inne. Sieht in Willems Augen, sieht Katja Bloch auf dem Sofa und schlieÃt die Tür. Entschuldigung, daà ich so reinplatze, sagt sie. Und zu Willem: Du hast dein Telefon noch auf meins geschaltet. Konetzke hat gerade angerufen, das heiÃt, er hat sich mit Burke gemeldet. Er will gleich noch mal zurückrufen. Und auch deine Detektive wollen dich treffen. Um zwölf in der Gyrosbude, soll ich dir ausrichten.
Dann setzt Barbara sich zu Katja Bloch. Es tut mir leid, daà es Ihnen nicht gutgeht.
Willem hat die Leitung zurückgeschaltet und sitzt wieder im Sessel.
Barbara sagt: Es ist immer einfacher, etwas zu sagen, als es zu tun. Aber wir helfen Ihnen, wo wir können.
Willem sieht den Ausdruck seiner Frau, und auch Katja spürt die Aufrichtigkeit. Sie lächelt, und dann rollen ihr zwei Tränen.
Kurz darauf klingelt das Telefon.
Als Willem abnimmt, hört er, wie Konetzke die Zunge gegen den Gaumen schlägt. Seit Tagen telefonier ich hinter Ihnen her. So geht das nicht. Wenn Sie wissen wollen, wer Ihren Alten ermordet hat, müssen Sie zuverlässiger sein. Morgen, 17 Uhr 30, bei meinem Anwalt. Gleich am Bahnhof; Schröder, wie seinerzeit der Kanzler. Und bevor Willem etwas sagen kann, hat Konetzke das Gespräch
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