Kronhardt
er schlieÃlich die modernen Abwandlungen hin zum Sapiens-Schädel ganz aus dem Blick verloren habe. Dieses eng an den Schädel gekoppelte Phänomen subjektiv unterschiedlichster Wahrnehmung sei bis heute mit allem, was die Menschheit wisse, nicht zu erklären. Bereits die Russen hätten schon vor diesem Phänomen gestanden und Versuche zum Verständnis unternommen, an die heutzutage gar nicht erst zu denken sei: Damals hätten sie feste Beobachter eingezogen, denen sie nach einiger Zeit die Gehirne manipulierten â chirurgisch, toxisch, psychisch, um die Beobachtungsreihe mit dieser ganz gezielt modifizierten Wahrnehmung fortzusetzen. Die Russen hätten alle Register gezogen, um den Schädel zu knacken, doch tatsächlich bliebe der Georgier bis heute nicht zu fassen. Und sobald man ihn von den Nachweisgeräten abkoppele, erscheine der Schädel stets in seinen altbekannten Erectus-Ausprägungen â Kielung, Wülste, alles, wie es sein sollte, und im Grunde könne man nicht mal sagen, ob die permanente Verjüngung ausschlieÃlich unter Beobachtung stattfinde oder auch sonst.
So rauft sich Jake die Haare, doch mit zwei, drei Schritten hat er wieder zu Willem aufgeschlossen. Strange, sagt er, isnât it, und obwohl diese zwei, drei Schritte im Grunde eine Kleinigkeit sind, um wieder im versetzten Gleichschritt zu marschieren, offenbart sich für die Männer aus diesem kurzen Vorgang erneut eine seltsam unbewuÃte Raumüberwindung. Und sie sind überrascht, als plötzlich die See vor ihnen liegt.
Vom Wasser spüren sie den Wind und die Gerüche. Und natürlich gibt es keine Raumlöcher, durch die sie hokuspokus von hier nach da reisen können, natürlich müssen sich die Männer an die unumstöÃlichen Gesetze halten, und so geht jede bewältigte Strecke, nichtwahr, gehen die schrittweisen Veränderungen einfach nur zwischen ihren Worten unter; im Labyrinth und Treibhausklima ihrer Köpfe. Und so rollt ihnen vom Horizont her die See entgegen; die Dampfer wie Scherenschnitte im Mittagslicht, die Furchen im Watt endlose Fraktale, und in den Prielen spiegelt sich die Ewigkeit.
Manchmal ergreift die Brise ihre Kleider, und vor allem der Physiker scheint in solchen Augenblicken zu schwanken. Doch als habe die AuÃenwelt nichts mit seiner Wirklichkeit zu tun, steckt er in der Materie und sagt, daà trotz der kontinuierlich gemessenen Verjüngung niemand eine Prognose wage, wann genau der Georgische Schädel in die Gegenwart einschlagen werde. Je näher er ihnen komme, desto ungenauer würden die Beobachtungen, so daà zuletzt alle Berechnungen verschmierten. Und somit auch jede Antwort auf die gröÃte Frage schlechthin: Was nämlich geschehen werde, wenn der Schädel quasi die Schallmauer der Zeit durchbreche.
Dann bleibt Jake plötzlich stehen und legt mit groÃer Ernsthaftigkeit eine Hand auf Willems Schulter. May I inquire discreetly, sagt er, denn manchmal sei er so unsicher, daà er weder ein Scheitern noch eine neue Dimension ausschlieÃen könne und in beiden Fällen nicht wisse, welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten. What shall I do? Please, Willem. Sagen Sie mir Ihre ehrliche Meinung.
Willem überlegt, dann sagt er: In meiner Schule gab es ein Mädchen. Patrizia von Kattenesch; sie war reich und schön, und ich hatte keine Chance bei ihr. Jahre später aber wollte sie mich treffen, zwar nur geschäftlich, doch ich habe den Termin verschoben, weil ich lieber eine Fachzeitschrift lesen wollte. In der Zeitschrift ging es um den Georgischen Schädel, und als Patrizia dann einen Tag später auf dem Weg zu mir war, wurde sie erschossen.
Die Männer stehen da, sehen sich an.
Es dauert wieder eine Zeit, bis Willem weiterspricht. Als ich ein Junge war, starb mein Vater. Ein rätselhafter Tod bis heute, und weil ich unlängst neue Hinweise erhielt, heuerte ich zwei Detektive an. Sie heiÃen Ramow&Ramow und haben die unglaublichsten Sachen bei sich liegen, als wäre das nichts. Australo-Schädel und Venusfigurinen, frische Kaffeebohnen von 18-88 oder extragalaktischen Whisky. Zudem haben sie die Fähigkeit, weitverstreute Zusammenhänge noch aus tiefer Vergangenheit aufzudecken, und als ich sie unlängst auf den Georgischen Schädel ansprach, behaupteten sie, dieses Phänomen sei im Grunde gar kein Phänomen. Höchstens etwas bislang Unbekanntes, und
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