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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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muß bei sich anfangen.
    Willem sagte: Und Sie?
    Ich? Blask machte ein Gesicht.
    Ich war ein junger Hund damals. Viel zu eingenommen von meinem Leben und meinen Neigungen, um irgendwas vorauszusehen.
    Haben Sie da mitgemischt?
    Mitgemischt, sagte er. Ich weiß nicht.
    Und dann: Für meine Doktorarbeit habe ich Ameisen beobachtet und bin dabei auf vereinzelte Tiere gestoßen, die sich absurd verhielten. Anstatt auf den Straßen der Kolonie zu bleiben, kletterten diese Tiere auf Grashalme und verharrten so lange dort, bis sie von vorbeiziehenden Schafen gefressen wurden. Ich fand bald heraus, daß nur diejenigen Ameisen ein selbstmörderisches Verhalten entwickelten, die zuvor von dem seltsamen Sekret einer Nacktschneckenart gegessen hatten. Also interessierte ich mich für die Schnecken und stieß schließlich in ihren Lungen auf seltsame Klumpen. Ich fand heraus, daß es Viren sind und daß die Schnecken diese Virenklumpen aushusten. Und dann kommen die Ameisen, machen sich über den Auswurf her, und die Viren sind in den Ameisen. Ich konnte nachweisen, daß sie dort zielgerichtet in die winzigen Gehirne wandern und die festgelegten Abläufe gewissermaßen auf ihre Bedürfnisse hin umprogrammieren. Die auf Staat getrimmten Ameisen werden zu selbstmörderischen Einzelgängern, und sobald ein Schaf vorbeikommt und Grashalm samt Ameise frißt, haben die Viren ihr eigentliches Ziel erreicht. Erst in den Schafen legen sie richtig los.
    Daß ich diesen komplizierten Umweg der Viren aufgezeigt habe, sagte Blask, brachte mir meinen Doktor, und ich glaubte fest daran, daß Mikroorganismen meine Bestimmung waren. Auch die Nazis glaubten daran. Aber mitgemischt bei denen? Ich weiß nicht, und Blask kratzte sich am Kopf.
    Tatsächlich bekam ich nach meiner Promotion eine Stelle am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie und Erblehre – für einen jungen Hund eine unglaubliche Berufung, und ich verdankte diese Ehre Sigurd Stromberg, der eine Koryphäe am Institut und von meiner Doktorarbeit begeistert war.
    Stromberg gehörte zu den Auserwählten nordischer Art und Gesinnung und war im SS -Sippenbuch verewigt. Ein sehr eitler Mensch, dieser Stromberg, und absolut überzeugt von seiner Berufung, den deutschen Volkskörper in der Welt zu verankern. Zuerst fledderte er bloß Leichen; Ohren, Augäpfel oder Häute, und in seinem Labor türmten sich Faktoren und Vererbungsmerkmale. Doch bald forderte er lebendes Material, bald notierte er bloß noch die gewünschten Merkmale.
    Er entwickelte Theorie und Praxis zum serologischen Rassentest, zur Massensterilisation aller Nichtarier und zur Optimierung der vorgeburtlichen Einflüsse in Lebensborneinrichtungen. Und von mir versprach er sich den Durchbruch auf dem Gebiet der Mikroorganismen – verstehst du: eine immunisierte Elite, und den Rest wollte er mit meinen winzigen Errungenschaften ausmerzen.
    Aber Sie haben es nicht getan, sagte Willem.
    Ich weigerte mich, sagte Blask.
    Sie weigerten sich?
    Stromberg fragte das gleiche. Und dann schüttelte er den Kopf. Sie weigern sich, sagte er. Also sind Sie geisteskrank und eine Gefahr fürs Reich, und wenig später verbrachte mich die Gestapo in Schutzhaft. Zwoeinhalb mal anderthalb Meter. Und das Beste, Junge: vierundzwanzig Stunden frei verfügbare Zeit.
    Stromberg allerdings dachte anders. Gefangen, allein und ohne Zerstreuung ständig sich selbst ausgeliefert. Das, meinte Stromberg, mußte einen Menschen tatsächlich geisteskrank machen. Und so machte er mich zu seinem Objekt. Vom gesunden Erbe zum jüdisch-debilen Erscheinungsbild nannte er die Studie, und wenn er wieder weg war, versuchte ich mich in Kontemplation. Ich betrieb körperliche Übungen, ich stellte Betrachtungen an zur Stellung des Menschen in der Welt.
    Blask grinste den Jungen an. Dann krempelte er seinen Arm frei und zeigte zwei viereckige Narben.
    Eines Tages kam Stromberg mit seinem Kapo. Sie haben mir die Haut abgeschnitten, die eine Wunde mit roter, die andere mit brauner Tinktur bestrichen, und das wars.
    Willem sagte: Da ist nichts von gekommen?
    Blask lachte. Um das zu beantworten, müßte ich jetzt neben mir sitzen. Mit dem Arm ohne Narben.
    Willem stellte sich das vor. Aber das geht doch nicht.
    Und der Doktor stupste einen Finger gegen Willems Brust. Daß du hier drinnen steckst, nichtwahr. Das weiß außer dir niemand. Und wer weiß, was es

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