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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Linien stehen jetzt auf ihrer Stirn. Ich treffe immer wieder auf Menschen, denen ich aus einem Gefühl heraus aus dem Weg gehe. Deinem Stiefvater mußte ich nie ausweichen. Doch jetzt ist es, als hätte sich etwas Verborgenes in ihm aufgetan, und wenn ich ihm begegne, strömt das Gefühl in mich.
    Ist es schlimm?
    Ich kann ihm gut ausweichen.
    Bist du Steiner je begegnet?
    Nein.
    Meine Detektive sind auf ihn gestoßen. Er könnte verwickelt sein in die jüngsten Geschehnisse. Und zurück bis zum Tod meines Vaters.
    Steiner ist ein alter Geschäftsfreund von Robert, nicht.
    Vielleicht mehr.
    Sie sehen einander an. Dann nimmt Willem sie in den Arm und gibt ihr einen Kuß auf die Stirn.
    Bevor er geht, sagt er: Und Laschek?
    Die Spanierin weiß sofort, was Willem will. Nein, sagt sie. Vielleicht ist er ein Ekel, aber ich muß ihm nicht aus dem Weg gehen.
    Als Willem die Flügeltüren im Spitzgiebel öffnet, sieht er, wie ein großer Schatten die Stadt überzieht und bald den Fluß erreicht. Quellwolken schieben sich vor die Sonne, es wird windstill, und Willem ahnt, wie die Hitze sich staut. Dann setzt er sich an den Schreibtisch und holt Lascheks Ausdruck vor.
    Auf den ersten Blick ist es ein Profil, das vor allem zeigt, was für ein Kaliber der Oligarch ist; dahinter hat Laschek die Stränge seines Imperiums bis in die für Kronhardt&Focke interessanten Verzweigungen seziert. In einer Legende zu seiner Sektion hat er Volumina, Preise oder Qualität derzeitiger Konkurrenzstickereien aufgestellt; dazu die Namen der Mittelsmänner des Oligarchen und mit Filzstift umrahmt seine bisherigen Operationen, um diese Mittelsmänner für Kronhardt&Focke zu gewinnen. Auch wenn es ihm nicht gefällt, muß Willem bald einsehen, daß Lascheks Analyse und seine bisherige Vorgehensweise gut sind. So sitzt er hinterm Schreibtisch; denkt zurück an seine Kindheit, an die Hündin Laika und den Major Gagarin, und er ahnt zugleich, daß der Russe an sich womöglich genauso gierig, rücksichtslos und aggressiv ist wie die Menschen überall. Das empathiefähige Individuum aufgelöst in der destruktiven Masse.
    Er hat sich entschieden, Roderick anzurufen. Vom Anschluß in seinem Apartment kommt keine Antwort, doch als Willem das Seniorenheim direkt anwählt, hat er schnell Kontakt. Die Frau in der Leitung sagt, very well, und Willem ahnt, wie sie durch die distinguierte Atmosphäre bis an den Tisch geht, wo Roderick mit seinen Damen sitzt. Und tatsächlich hört er bald ihre Stimmen – oh, Ernest, und dann hat er den Alten dran.
    Nach einer Zeit sagt Roderick: Ich kenne diesen Russen, indeed. Ein Mann, der sich seine Anerkennung kaum durch eine integre Art verdient haben dürfte. In meinen Augen ist er ein Schurke. Doch im Königreich wird er geachtet, und meine Rechnungen wurden jederzeit prompt von ihm beglichen.
    Willem bedankt sich. Dann fragt er nach Rodericks Befinden, freut sich über die Rüstigkeit des Alten und bestellt herzliche Grüße von Barbara. Zum Schluß sagt er: Was macht Jake?
    Oh. Mein Sohn ist gerade aus Leipzig zurück. Der Schädel bereitet ihm Probleme, und wir müssen ihn zerstreuen.
    Willem hört, wie die Damen am Tisch lachen. Roderick sagt: Kommen Sie, Willem. Sprechen Sie mit Jake. Ich weiß, daß Sie ihn zuletzt sehr inspiriert haben, und mit ausdrücklichen Wünschen an Barbara und der innigen Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen langt der Alte den Apparat weiter.
    Jake?
    Willem?
    Und dann dauert es, bis der Physiker weiterspricht. Bald hört Willem Vogelstimmen in der Leitung, bald rauscht es, und er ahnt, wie Rodericks Sohn durch den Park marschiert, womöglich im Buxus sempervirens verschwindet.
    The skull remains the same, sagt er schließlich. Unsteady and not sharp, und die Verjüngung sei in letzter Zeit so dramatisch verlaufen, daß er bald zum Ötzi aufschließen werde. Als Wissenschaftler sei er vollkommen erfaßt von dieser Sensation und verspüre einen enormen Antrieb hin zu alles umfassender Ordnung – ja, manchmal sogar ein inneres Leuchten, und er sei sicher, daß er hinter Versuchen und Beobachtungen auf ein Resultat stoßen könne von nie geahnter Reinheit; eine letzte Erkenntnis, in der sich alle Erfahrungen der Menschen wunderbar bündelten, wunderbar offenbarten. Und auch die Eingeweihten um ihn herum, sagt Jake, seien vollkommen erfaßt von

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