Kronhardt
diesem Phänomen. Königshaus und MI 5 ebneten ihm alle Wege und drängten zudem immer mehr darauf, sein Kunststück der Quantenteleportation endlich mit dem Material aus Leipzig zu wiederholen.
Doch als Mensch, sagt Jake dann, könne er hinter dem Phänomen des Schädels zunehmend eine ganz andere Art von ErfaÃtsein spüren. Als Mensch werde er immer tiefgreifender von Stille und Staunen erfüllt, die sich aus dem endlosen Raum speisten, und die Alltäglichkeit des Daseins und das BewuÃtsein für dieses Wunder verwandelten sich in sprachlosen Respekt. Und dann könne er ganz klar sehen, wie alle Wissenschaft und aller Ehrgeiz, das Phänomen des Georgischen Schädels zu lösen, nichts seien als Ideen aus einer Welt, die allen Respekt verloren habe.
Willem, sagt er. What shall I do?
Und Willem spricht sich aus für das alltägliche Wunder.
Zum Vormittag hin kommt Barbara auf eine Zigarette hoch. Sie stehen hinter dem Galgen, die einströmende Luft erscheint dick und weich.
Willem sagt: Der Russe ist ein global operierender Schurke. Immerhin bezahlt er seine Rechnungen pünktlich.
Ist das alles?
Roderick sprach von moral insanity.
Und sonst?
Jake verzichtet auf den Nobelpreis.
Barbara stöÃt Rauch aus. Wie?
Aus Demut.
Sie sieht ihn an, schüttelt den Kopf.
Er lächelt, küÃt sie und gibt ihr dann die Zusammenhänge.
Danach schüttelt sie wieder den Kopf. Und jetzt sollen wir aus Demut auf den Russen verzichten.
Wir müssen immer eine Entscheidung darüber treffen, was wir tun sollen und was nicht.
Stimmt, sagt sie und lächelt. Ich nehme dann mal Robert mit.
Damit ich in Ruhe schnüffeln kann. Das gefällt mir, Barbara, und er nimmt sie in den Arm und küÃt sie erneut. Nichtwahr, solange wir unsere Moral aufrechterhalten, stehen wir gar nicht so schlecht da.
Als sie in der Tür steht, sagt sie: Ãber den Russen ist noch nichts entschieden.
Kronhardt hat sein Büro verschlossen, doch in Barbaras Registratur gibt es einen Ersatzschlüssel. Als Willem eintritt, sind die Spuren der Alten trotz der modernen Linie unverkennbar. Wie im Hartmann-Haus erscheint die eine Hälfte gespiegelt in der anderen, und der Platz der Mutter sieht aus, als könnte sie jederzeit zurückkommen. Ein Phantom mit Turmfrisur, und Willem spürt, wie sich das Büro um ihn verdichtet. Wie die Spuren und unsichtbaren Partikel ihn bedrängen und ihm in seiner heimlichen Absicht bald die Luft wegbleibt.
Als er sich aber ans Fenster stellt, weiten die Bilder wieder den Raum, und nach einer Zeit geht er zielstrebig an die Systematik der Alten. Holt den Karteikasten vor, blättert S durch, dann V und W und stöÃt auf nichts Verdächtiges. Auch im Telefonverzeichnis nicht und in den Ordnern. Danach geht er an ihren Schreibtisch; zieht Läden und Fächer und spürt, wie die Dinge immer wieder Erscheinungen seiner Mutter hervorbringen. Doch er bleibt ruhig, und das einzige, worauf er in seiner zielstrebigen Suche stöÃt, steht in einem Taschenkalender mit Olympiaringen von 1972. An drei aufeinanderfolgenden Tagen im Juli hat die Mutter damals ein G. eingetragen. Und dann mit einem anderen Stift für jeden Tag Ereignisse notiert. 21. Hafenrundfahrt, 22. Auswandererkai und zuletzt Kugelbake. Im Telefonregister des Kalenders findet Willem unter dem Buchstaben G wieder das handgeschriebene G. der Mutter. Dazu drei Nummern, eine mit Vorwahl für Bremen, eine für Bremerhaven und eine für Cuxhaven.
Die Dinge in Kronhardts Schreibtisch sind nach dem gleichen System geordnet wie in dem der Mutter, und so wird Willem bald fündig. Im Taschenkalender vom Vorjahr stöÃt er auf ein handgeschriebenes G. Dazu die Nummer eines Mobiltelefons.
Auf einem der kleinen Stockwerke begegnet ihm Striebeck. Sie hat zwei groà gerahmte Rothkos abgehängt.
Ulrike, sagt er. Die Bilder sind gut. Wir haben nie bessere hier gehabt.
Sie lächelt. Die Galeristin bringt heute eine neue Runde.
Dieser Rotationsvertrag hat mir noch nie gefallen. Kümmern Sie sich doch mal darum, daà wir den kündigen.
Allen anderen gefällts aber so.
Und wenn sich jeder seine Lieblingsbilder aussucht?
Striebeck lacht. Wir mieten die Bilder. Und davon abgesehen wollen Sie doch nicht ständig mit meinem Geschmack konfrontiert sein? Oder dem von Marcel.
Vielleicht sollte ich mir solche Rothkos kaufen.
Warum nicht.
Und sonst?
Striebeck
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