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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Willem, sagte sie, war mein Bester. Die Mutter und Kronhardt tätschelten ihn, und von Weyer hielt die goldene Spitze wie ein Zepter. Als Willem sich ein letztes Mal umdrehte, stand sie da wie durchleuchtet: Ihre Augen sahen dem Rauch hinterher und durchmaßen den Raum; den Born neuer Generationen und neuer preußischblauer Urteile – ist 6 , ist 1 , was für eine Macht.
    Der Dicke hatte es nur auf die Realschule geschafft, und seine Eltern unterstellten Kronhardts Hochnäsigkeit. Sie beendeten den Kontakt und steckten Siegfried in eine Privatschule, die versprach, ihn innerhalb von zwei Jahren aufs Gymnasium zu hieven.
    Diese hinterhältigen Parvenüs, sagte die Mutter zu Kronhardt.
    In den Ferien unternahmen sie Spritztouren mit dem Borgward. Zwei Tage Teutoburger Wald, dazu Besichtigung der Leinen- und Textilindustrie; zwei Tage Lübeck, dazu Marzipan und Zonengrenze, und aus dem Doppelkreis des Feldstechers spürten die Mutter und Kronhardt den Schmerz um den mächtigen Brocken verlorener Heimat.
    Einen Tag fuhren sie nach Bremerhaven, einen nach Osterholz oder Rotenburg, dann drängte ein atlantisches Tief übers Festland, und seine Ausläufer prallten gegen das Kontinentalhoch und saugten heiße Luft aus Polen. Eine feuchte Hitze drückte einwärts, drückte unter Tage und gegen den Himmel, und die Sonne stand wie ein weißer Pilz. Die Stadt zerlief im Glast, noch in der Nacht brannte das Salz in den Augen, und Willem verbrachte die Tage in der Badeanstalt. Die Alten erschienen unter der Hitze wie gelähmt, sie verließen kaum das Haus, und so zog er jeden Morgen los.
    Als er mit der Badetasche herunterkam, saßen die Alten schon am Frühstückstisch. Die Mutter lächelte und sagte: Wir gehen aus.
    Sie trug ein ärmelloses Kleid, Kronhardt Sommerhemd mit Krawatte.
    Ihr geht aus?
    Du kommst mit.
    Er aß ohne Appetit, während die Alten ordentlich zulangten. Blutwurst und Harzer, und dabei lasen sie sich gegenseitig aus der Zeitung vor. Hundstage fordern Tote, sagten sie, Kennedy-Witwe mischt sich ein, oder: Macht die Mauer machtlos? Und mit vollem Mund gaben sie ihre Kommentare ab. In Wirklichkeit, sagten sie, konspiriere dieser Willy Brandt mit der Ostzone und treibe die Teilung der Stadt noch voran. Und dieses Witwenluder, sagten sie, poussiere jetzt mit dem Bruder des Ermordeten, und wenn sie zum zweiten Mal First Lady würde, gerate Vietnam endgültig außer Kontrolle, und dann müßten sie selber noch Mauern bauen gegen all die Kommunisten und Neger.
    So schmatzten sie und blätterten bis zu den Todesanzeigen; lasen mit dem Friedhofsgefühl der jungen Geschichte, und auf ihre Gesichter legte sich die heimliche Wonne der Herabblickenden.
    Keine fünfzig, sagte Kronhardt.
    Die Mutter leckte sich die Finger. Herrlich, und dann: Sieh mal, Heinz Tiefenbrunner. Der hat unter Karl gedient. Plötzlich und unerwartet, steht hier. Und ohne aufzublicken: Du ziehst heute deinen Anzug an. Und kämm dich ordentlich.
    Willem aß stumm sein Honigbrot. Die Luft drängte in Stößen durch die geöffneten Fenster und verdichtete sich zu Visionen; dem harten Strahl der Brausen, dem Platschen und Johlen unter dem Hitzepilz. Die Vögel trillerten, und er spürte, wie die Alten ihn einschnürten; wie sie Zeit und Freiheit aus seiner Seele fraßen, und am liebsten wäre er einfach weggelaufen.
    Die Mutter saß vorm Frisierspiegel. Sie öffnete den Mund, trug Farbe auf die Lippen und zog sie wieder ein. Dann steckte sie Nadeln in das aufgetürmte Haar, und als sie Willem gewahrte, ließ sie ihn kommen. Er stand stramm unter ihren Händen, ließ Zupfen und Reiben geschehen. Er sah die Gesichter seiner Mutter in dem dreigeteilten Spiegel, dreimal die von innen strömende Härte, die jedem Lachen und jeder Schminke widerstand. Als sie seinen Blick bemerkte, gab sie ihm einen Klaps, warf den Kopf zurück und nahm den Zerstäuber.
    Kronhardt wartete bereits in leichtem Anzug und Hut. Als seine Frau vor ihm durchs Zimmer flanierte, ihr Rücken durchgedrückt, ihr Haar in Würde, stieg er sofort auf ihre Spur. Im Borgward genoß sie seinen Blick auf ihre Schenkel.
    Kronhardt steuerte an Marktplatz und Liebfrauenkirche vorbei; an der Brill-Kreuzung wendete er, zog an Liebfrauen und Marktplatz vorbei und parkte den Borgward, wo er gestanden hatte. Willem war sicher, daß die Alten nicht mehr alle Tassen im Schrank

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