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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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hatten.
    Die Mutter hakte sich ein, Kronhardt trug ihre Handtasche, und so schlenderten sie von einem Schaufenster zum nächsten. Bald spendierte Kronhardt eine Runde Softeis und lobte die Verkäuferin für ihr Geschick; er sprach von strahlendem Gleichmaß, von einer Spitze, so prächtig wie die Konjunktur, und als sie weitergingen, schien sich rings aller Trümmerschmerz in Zukunft zu verwandeln; eine Architektur aus Asbest und Beton, ganz, wie Kronhardt meinte, im Zeitalter der Stoffumwandlung. Eine neue Ära, meinte er, aus der Deutschland grenzenlosen Aufschwung schöpfen würde, und so strömte das Eis in ihren Mund, und Erinnerung und Schmerz der Alten verwandelten sich in pionierhaften Stolz. Bald setzten sie ihre Sonnenbrillen auf, und hinter der Stromlinienform wuchs das Gefühl ihrer Erhabenheit. Die anderen verdunkelten zur Randerscheinung, und die Stadt verwandelte sich in etwas Intimes; ein wunderbares Schweben auf den sonoren Kolbenschlägen, und die Welten in den Schaufenstern erschienen exklusiv; Träume, eine magische Haut, etwas, was sie sich jederzeit nehmen und zu einer Art Persönlichkeit machen konnten – ein Griff in die Börse genügte. Und so genossen die Alten es, zu den Auserwählten zu gehören. Nach allem, was geschehen war, hätten sie es verdient, und sie nannten es Recht und Freiheit.
    Später standen sie um einen Bratwurstpavillon.
    Willem sah einer Frau zu, die aus ihrem Karman Ghia mit einem Schutzmann plauderte; am Taxenstand klingelte das Telefon, und Caterina Valente strahlte von einer Litfaßsäule.
    Das feuchte Atlantiktief saugte weiterhin heiße Luft aus Polen, das Horn eines Krankenwagens stieg auf – die Opfer der Hundstage, wie die Mutter zwischen zwei Happen sagte, und dann zogen die Alten durch die Fachgeschäfte. Die Namen leuchteten in neuer Typographie, verschmolzen Sütterlinschnörkel und Kantigkeit zu frischem Schwung. Die Geschäfte hießen jetzt Bauer oder Schulz, doch die Alten wußten noch, wo früher Rosencrantz oder Güldenstern gestanden hatte. Sie ließen sich Gürtel, Hüte oder Schirme zeigen, und wenn ein Verkäufer nicht servil genug erschien oder ihre weitreichenden Fragen nicht beantworten konnte, verlangten sie nach dem Geschäftsführer.
    Und Willem konnte von überall die ferne Badeanstalt ahnen; den Strahl der Brausen und das Johlen. Als er nach einem Groschen für einen Einarmigen fragte, zückte Kronhardt mit großer Miene die Börse.
    Die neuen Warenhäuser sparten sich die Alten bis zum Schluß auf, und dann glitten sie auf endlosen Rolltreppen wie durch ein Märchenland, das ihr erhabenes Gefühl aus allen Richtungen mästete. Kronhardt bediente mühelos eine der neuen Großraumtruhen und erklärte das Stereo-Prinzip. Cocktailsessel oder Neuigkeiten von der Mailänder Messe interessierten sie nicht, und der Verkäufer war auf Zack und lotste sie zu den altdeutschen Werten. Eine Rolltreppe höher gab es Schallplatten und Bücher; dahinter die Spielwaren, und Kronhardt schien beleidigt, als Willem sich nicht für die riesige Modellandschaft mit Eisenbahn begeisterte. Auch die marschierenden Roboter aus Japan interessierten den Jungen nicht, und danach ließen die Alten ihn in den Büchern stöbern. Eines kaufen durfte er aber nicht.
    Die Rolltreppen erschienen bald wie Umlaufbahnen, rings der Alltag schwerelos. Eine Welt jenseits dieser großen Kaufhäuser existierte nicht mehr, es gab keine Fenster, die Luft aus Polen wurde umgewandelt und Raum und Zeit neu erschaffen. So schlenderten sie durch Kokospalmen oder Schwarzwaldhäuser, rings die Gliederpuppen erschienen zutraulich, mit seltsamen Merkmalen, die halbdurchsichtige Nachtgarderobe genauso integer machten wie Faltenröcke. Und noch die brandneuen Miniröcke wurden mit den Puppen nachgerade gesellschaftsfähig.
    In der Cafeteria waren die Kellner livriert, Licht und Ascher aus wunderbarem Kristall, und die Musik war leise. Herrlich, sagten die Alten und ließen Erfrischungstücher und Limo kommen. Als sie die Toilettenräume aufsuchten, schritten sie aufrecht an den Tischen vorüber, und als sie zurück waren, tauschten sie ihre Eindrücke aus. Wie geleckt, meinten sie, und auch der Fichtenduft hatte ihnen gefallen.
    Im nächsten Stockwerk war eine Schönheitskönigin zu Besuch, und die Mutter stellte mit Erstaunen fest, daß es ein

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