Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
Delitzsch. Auf Wunsch von Tatjanas Arzt bat er darum, derartige Erschütterungen doch zukünftig von unserem Kind fernzuhalten.
    Zur Abendröte liegt er auf dem Sofa. Durch die Eichenstämme hat er Blick über die Wiesen bis zum Waldesrand; erste Fledermäuse sind draußen. Tafelmusik von Telemann spielt, doch erst als der Tonarm zurückfährt und mit dem letzten Geräusch eine Lautlosigkeit markiert, nimmt er die Gedanken in seinem Kopf wahr. Es sind sprunghafte und unscharfe Verknüpfungen, aus denen immerfort Abbilder entstehen, die nicht innehalten und rastlos antreiben gegen den Zustand der Stille. So liegt er da und denkt, obwohl er nicht denken will. Und nur einmal, ohne zu wissen, wie lange, spürt er Ruhe und Bewegungslosigkeit in sich; ein freier Fall wie von einem Kliff, rings die Räume öffnen oder leeren sich, oben und unten werden eins, und dann kommen die Gedanken auch schon wieder. Die Abbilder aus den Abbildern, und so dringen sie in endloser Fortpflanzung durch seinen Kopf und lassen Gefühle entstehen; seine Mutter, der Finger von Boris, der Georgische Schädel; eine seltsame Dynamik, die er kaum steuern kann.
    Er liegt noch auf dem Sofa, als das Telefon klingelt. Der Anrufbeantworter springt an, und er hört ihre Stimme. Küßchen. Und noch eins, wenn du deinen Hintern vom Sofa kriegst.
    Er lacht in den Hörer. Dann sagt er: Deine geisterhafte Fernwirkung.
    Quatsch. Ich kenne dich einfach.
    Ich bin gerade zurück.
    Und ich weiß, wo du warst.
    Küßchen, sagt er, und Barbara erzählt von Leipzig. Wie Inéz und sie in die Materie dringen und zusammen ihr wunderbares Gespür entwickeln. Wie sie ausspannen von den geschärften Sinnen und sich nach Bad oder Sauna zurechtmachen für ein Essen, einen Cocktail.
    Willem sagt, daß im Geschäft alles läuft. Und dann erzählt er kurz von Katja und ihrem Mann.
    Armer Boris. Und arme Katja.
    Ich kümmer mich.
    Und Robert?
    Um den kümmer ich mich nicht.
    Nichts Neues?
    Nein.
    Steiner?
    Auch nicht.
    Paß auf dich auf.
    Du auch.
    Ãœbrigens, ich habe Jake getroffen; er ist mir vorm Bahnhof über den Weg gelaufen, und ich soll dich grüßen. The skull remains in a dramatic state, hat er gesagt.
    Mehr nicht?
    Du kannst ihn jederzeit anrufen. Er hat mir seine Nummer gegeben.
    Oh, Willem.
    Und dann dauert es, bis der Physiker weiterspricht. Bald hört Willem verzerrte Schwingungen, dann ein scharfes Ziehen und ein Sauggeräusch. Within the last two days, sagt Jake, hat der Schädel zum Ötzi aufgeschlossen. More or less, und auf diese Art marschiert er voran. Es ist dramatisch, Willem, und glücklicherweise haben meine Kollegen mich darin bestärkt, jetzt die Finger von dem Experiment zu lassen. Allerdings sehen einige Leute in meinem Land das anders.
    Sind Sie in Schwierigkeiten, Jake?
    Woher soll ich das wissen. Niemand weiß, was passieren wird, wenn der Schädel durchschlägt.
    Und sonst?
    Der Physiker scheint zu stutzen. Dann hört Willem wieder Geräusche. Ich bekomme Zeichen. Es tut mir leid, Willem.
    Wann, Jake?
    Die Geräusche reißen ab, und für einen Augenblick ist es still. Wir wissen es nicht. Vielleicht bald. Rufen Sie mich an.
    Vom Fluß weht eine Brise hinauf, in den Wellen spiegelt schuppiger Himmel. Die Luft ist drückend, manchmal fällt Regen. Am Martinianleger wird die Glocke zur Abfahrt geschlagen, und als Willem die Stufen im Deich erreicht, steigt er zügig voran. Über die Tische der Straßengastronomie sind Schirme gespannt, voran im Schatten der Linden steht der kleine Kiosk.
    Die Ramows sind bereits da; einer sitzt im Rollstuhl, der andere trägt eine schwarze Brille und am Ärmel eine Binde. Auf dem Tisch stehen Bierflaschen, der im Rollstuhl liest aus einer Gazette vor. Willem klopft auf die Platte und setzt sich. Der im Rollstuhl blickt einmal auf, dann scheint er weiterzulesen. Ist Ihnen niemand gefolgt?
    Ich habe nicht darauf geachtet.
    Heute morgen haben wir die große Frau gesehen. Sie hielt sich um den Marktplatz auf und verschwand wieder.
    Was hat sie dort gemacht?
    Wasser getrunken. Ohne Eis, ohne Zitrone.
    Allein?
    Von den üblichen Verdächtigen war keiner da.
    Warum hat sie dort gesessen?
    Warum sitzen Leute irgendwo?
    Der mit der schwarzen Brille zieht ein piependes Telefon hervor und tastet mit den Fingern. Dann lacht er und scheint über Belanglosigkeiten zu schwatzen. Als das Gespräch

Weitere Kostenlose Bücher