Kronhardt
gewähren, zieht sie danach zu sich, und bald liegt sie in seinen Armen. Dann spricht er leise zu ihr und spürt, wie seine Worte den Kokon um sie erschaffen, wie er ihr Geborgenheit gibt. Wie sie sich von den Schwankungen des Wetters löst und vom Geschäft; vom Lachen und Weinen und Zittern, von den Erschütterungen um den Mord an seinem Vater und den unheimlichen Gedanken um Kronhardts jähen Tod.
Aus den Bäumen heraus scheint das Laub die ganze Welt zu färben. Es ist ein schöner Tag, der Himmel klar, die Luft würzig und mild. Im Landhaus bereiten sie den Garten vor für eine Feier; Hectors Mannschaft hat das Büfett bereits errichtet, von einem Podest werden Kabel gelegt, und manchmal knackt es aus den Verstärkern. Die Sonne steigt noch mal über die Eichen, Barbara und Inéz sitzen im warmen Licht in der Hollywoodschaukel, und Willem hackt Holz. Manchmal sieht er eine Schar von Staren, oder ein letzter Schmetterling leuchtet auf. Als die Frauen sich umgezogen haben, beendet Willem seine Arbeit. Die Sonne hat ihren Scheitelpunkt überschritten, und die ersten Gäste erscheinen bereits, während Willem noch im Bad ist.
Der Kykladenreeder trägt das Geschenk von Barbara, den Anzug mit der dezenten Stickerei, und wie es aussieht, hat er den Freigeist über alle Degeneration gestellt. Er hat seine Flotte verkauft, in Zeiten des drohenden Staatsbankrotts umgesattelt und ein Konzept für den bürgerlichen Widerstand entwickelt. Zur Zeit ist er dabei, eine Kette von Kafenions zu installieren, die landesweit als Plattformen für Diskussion und Vernetzung dienen sollen. Anscheinend funktioniert seine Idee, und bereits nach kurzer Zeit symbolisiert sein Café Sokrates den Urgedanken der Demokratie. So läÃt er T-Shirts und Käppis mit Schriftzug und Charakterkopf besticken und ist selber überrascht, wie der Zerfall des Alten das Bedürfnis nach neuer Identifikation antreibt.
Japan ist aus den Tagesmeldungen fast verschwunden. Als wäre der Tsunami dort vor langer Zeit ins Land gerollt, als wäre Fukushima einstmals havariert und alle Bedeutsamkeit für die Gegenwart längst abgeklungen. Die Todesopfer lösen sich auf im alltäglichen Geschäft neuer Meldungen, und die Folgeschäden werden in nackte Zahlen transformiert, als hingen an jeder Katastrophe lauter Nullen; wenn die Kernschmelze ins Erdreich eingedrungen, wenn das Meer kontaminiert ist, muà es wie ein Mysterium erscheinen, das nur wenigen Begnadeten zugänglich ist.
Teile Arabiens sind noch immer in Flammen; der Aufbruch von innen, die entfesselte Kraft einer neuen Generation wird weiterhin gemeldet, und jederzeit stehen neue Bilder im Netz und verbinden Bereiche von Raum und Zeit, die in Wirklichkeit weit auseinanderliegen. Wie auf einer Einstein-Rosen-Brücke kann man heutzutage von einer Möglichkeit zur anderen wechseln und zeitgleich in Tokio, Damaskus oder Tripolis sein. Und jederzeit gabeln sich neue Bahnen auf, und auf der Party stimmen Skeptiker und Gläubige des Fortschritts mit Willem überein, daà es natürlich vor allem die Chiptechnologie ist, die die Weltgesellschaft und ihre Wirklichkeit so rasant verändert; daà der permanente Schwall von Ereignissen, die jederzeit und überall zu einer persönlichen Erfahrung werden können, einen Effekt hervorbringt, der den einzelnen und seine Wahrnehmung in der Welt neu definiert. Daà Zeiten, Orte und Befindlichkeiten verschmieren und bislang niemand sagen kann, wie Geist oder Seele unter diesen Anforderungen transformieren. Um so weniger, wie Willem meint, als Fortschritt oft genug nur darauf hinzielt, den einzelnen von sich selber abzulenken.
Kaltenhagen erscheint wie auf jeder Feier; er trägt den silberfarbenen Schlips, und sein Blick kommt aus einer Höhe, die den Rest der Welt verschwommen macht. Und wie üblich kümmert Barbara sich um seine Frau und Willem sich um den Grafen. So nimmt er ein Gläschen mit ihm und kriegt mit den alten Kellerbarerfahrungen mühelos einen Plausch hin. Die Versuche des Grafen aber, das Gespräch auf sein Lieblingsthema zu bringen und die Verschmelzung von persönlichem Erfolg und internationaler Elite vor den anderen Gästen auszubreiten, übergeht Willem von Anfang an. Als hätte er kein Interesse mehr daran, Menschen wie Kaltenhagen bis in ihre Abgründe zu entblöÃen, um sie dann â Hokuspokus â auf unverhoffte
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