Kronhardt
sein Glas auf ihn. Und dann lacht Deutschmeister, unbeweglich und still, doch Willem ahnt das alte Dröhnen dahinter, die letzte irdische Verbundenheit.
Im Gegensatz zu Deutschmeister scheint Roderick erst auf seine alten Tage entfesselt. Als hätten die eingefleischte Linie und der Ruf als königlicher Tuchhändler seine wahren Neigungen stets eingeschnürt, und so sitzt der alte Knabe inmitten der Musik und zuckt aus dem Rollstuhl heraus. Zwischendurch ist er am Büfett, läÃt sich von Hector Luna beraten oder spürt mit seinem Sinn für Distinktion genau die Damen auf, mit denen er hinter aller Entfesselung noch in einer längst vergangenen Etikette schwelgen kann. Und so ist Willem nicht überrascht, als er ihn mit Ulrike Striebeck und Veronika von Zerbst findet. Die Frauen sitzen da wie festgezaubert; als würde Roderick ihnen den Himmel über Afrika ausbreiten, den Sprung des Leoparden oder das Liebesspiel der Antilopen, doch dann lachen sie plötzlich los â oh, Ernest! â, und als er ihnen darauf die Hand küÃt, kann Willem sehen, wie den Frauen diese Verehrung gefällt.
Auch Rodericks Augen leuchten noch immer. Und sie scheinen wie bei Deutschmeister von innen befeuert, doch Willem kann nicht sagen, ob es das gleiche Feuer ist. Während Deutschmeister in seiner Stille verbleibt, strömt aus Roderick offensichtliche Lebensfreude, und alles, was er tut, scheint gleich wichtig und erfüllend zu sein. Als Willem ihn danach fragt, lacht der Alte. Dann sagt er, daà die Situation des Menschen auf der Erde sehr seltsam sei; jeder sei hier wie auf einem kurzen Besuch, und niemand wisse, warum. Doch anstatt dieses Geschenk demütig oder in Freude anzunehmen, verhielten die Menschen sich gerade so, als wäre ihr Dasein ohne künstlich geschaffene Welten völlig sinnlos. Und zuletzt brächten sie es fertig, ihre künstlichen Welten wichtiger zu nehmen als sich selber, als die Erde und alle Grundlagen des Lebens.
Ihm selber sei es auch so gegangen; der Tuchhandel, sein gesellschaftlicher Stand seien ihm wichtiger gewesen als alles. Doch seit sein Sohn ihm von dem Georgischen Schädel erzähle, breche ihm die altvertraute Wirklichkeit einfach weg. Niemand wisse, was passieren werde, wenn der Schädel in die Gegenwart durchstoÃe, und er selber, sagt Roderick und lacht, erlebe die Welt bereits, als sei Zeit kein zuverlässiger Faktor mehr. Als sei alle Zukunft bereits reduziert auf den Augenblick, so daà es Verschwendung sei, noch über das Leben nachzudenken, anstatt es einfach zu leben; und Verschwendung, sich selbst wichtiger zu nehmen als irgend etwas anderes. So ist es doch, isnât it. Und Rodericks Augen leuchten, und bald rollt er unter die Tanzenden, zieht Willem mit, und gemeinsam zucken sie in der Musik.
Katja ist weich, und Willem drückt sie fest. Morgen fährt sie für eine Woche zu ihrem Mann ins Sanatorium, und sie freut sich, daà sie es noch auf die Feier geschafft hat. Katja sieht gut aus, sie hat sich hübsch zurechtgemacht. Sie lächelt, als Willem es bemerkt, und dann sagt sie, daà Boris sich weiterhin in einem eher instabilen Zustand befindet. Manchmal erscheine er wie früher, wenn sie gemeinsam in ihrer Kapsel davonschwebten, und in solchen Momenten verspüre sie ihre gemeinsame Energie. Und manchmal erscheine Boris ihr wie abgeschnitten, sein vertrautes Wesen, seine Visionen und seine Kraft einfach weg. Weg wie sein Finger.
Hector Luna bereitet ihnen einen Mango-Limetten-Saft, und sie können nicht sagen, wieviel oder welchen Alkohol er dazugegeben hat. Katja trinkt das erste Glas schnell, und mit dem zweiten versinkt die Sonne. Von ihrem Platz am Tresen haben sie Blick nach Westen; Erlen stehen gegen den Himmel, und abseits, über dem aufsteigenden Dunst der Wiesen, können sie einen Trupp Stare sehen, eine Verdichtung und Auflösung, die wie ein Lebewesen dahinzieht.
Willem hat alles gut vorbereitet, und Feuer stöÃt aus den Scheiten. Rings die Gartenfeier hat sich zusammengezogen, sie sitzen um den Steinkreis; auf Stümpfen und Stämmen, und aufsteigende Funken zergehen in der mondlosen Nacht. Stille fällt aus der MilchstraÃe, zerprasselt in den Flammen. So sitzen sie; den Blick in die Welt aufgelöst, die Gesichter zeitlos im zuckenden Schein.
Später, als Willem einige Scheite nachlegt, ist ihm, als strömte durch seine Hand noch der ganze Baum. Seine
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