Kronhardt
darin eingefangen. Willem bestellt einen Apple-Jack, Karin nimmt Wasser. So stoÃen sie an; rings steigen das Plaudern und Lachen auf, die Musik der Latinos umhüllt den Garten, und als Barbara an der Bar erscheint, küÃt Willem seine Frau und zieht sie mühelos in den Tanz.
So läÃt er sich treiben, fängt den Widerhall der Party in sich, das Lachen und die Leichtigkeit. Er zieht von einem Grüppchen ins nächste, die Grüppchen lösen sich auf und bilden sich neu, zweimal fängt Kaltenhagen ihn ab, doch Willem gelingt es ohne weiteres, noch das Geltungsbedürfnis des Grafen in unbeschwerte Augenblicke umzuwandeln. Vom Büfett wird er erneut in die Musik gezogen, er tanzt mit Inéz, er tanzt wieder mit Barbara, und später stehen sie bei Hector Luna und lachen. Bald stoÃen andere Gäste dazu, Veronika von Zerbst etwa oder Rita Schrödinger, die sich beide ganz offensichtlich wohl fühlen. Willem erfährt, daà es auch Anton Hultschinek gutgeht; trotz Diabetes und Amputation lieà er es sich nicht nehmen, auf der Diamantenen Hochzeit mit seiner Frau ein Tänzchen hinzulegen, und Willem lächelt bei der Erinnerung an den Mann mit dem steifen Bein. Dann kommt Visconti an die Bar, der italienische Tuchhändler, und auch Rebekka Steen und ihr Ehemann, und die Grüppchen lösen sich auf und bilden sich neu.
Für Barbara ist es keine Frage gewesen, auch Marcel Laschek einzuladen; jedoch nicht aus dem Kalkül heraus, den Dicken mit seinem internen Wissen loyal zu halten, sondern weil er bei Kronhardt&Focke Spuren hinterlassen hat. Barbara hält es für respektlos, wenn sie die Jahre fruchtbarer Zusammenarbeit einfach aus ihrem Leben streichen würden; eine Beleidigung und ein fatales Signal für die verbliebenen Mitarbeiter, hat sie gesagt, und Willem hat ihr recht gegeben.
Seit Laschek für den Russen arbeitet, agiert er viel von London aus. Dennoch hat er seine alte Wohnung nicht aufgegeben, und tatsächlich jettet er manchmal hin und her, als wäre Bremen ein Vorort. Laschek fühlt sich weltmännisch, und auf der Gartenfeier läÃt er daran keinen Zweifel. Willem hat keine Mühe, ihn aus Stimmen und Musik heraus zu orten. Das rasselnde Lachen und die prahlende Stimme vermitteln schon aus der Entfernung ein Bild, und tatsächlich erscheint der Dicke wie eh. Das fleischige Gesicht scheckig, die Haut derb, und wenn er die fetten Lippen auseinanderzieht, erscheinen die Jacketkronen. An einem Ohr trägt er ein Headset, er hat sich Gel in die Haare getan, und die Kleider unterstreichen seine Frisur. Als Willem vor ihm steht, flackern Lascheks Augen.
Die Begegnung geht kaum über Floskeln hinaus, Gedenken an Kronhardt, dazu London oder Geschäfte. Doch hinter den Floskeln kann Willem das Brodeln spüren, und er ahnt, wie der Dicke seine Gehässigkeiten gegen Willem zügelt, während er lacht oder mit den Schuhspitzen trippelt. Und Willem ahnt auch, wie der Dicke sich innerlich zerfleischt; wie er sich womöglich sein Leben lang zerfleischt und niemals bei sich sein wird, niemals richtig glücklich. Und so drückt er Laschek die Hand und wünscht ihm alles Gute.
Deutschmeister hat den zweiten Schlaganfall auf seine Art weggesteckt; die weiÃe Gesichtshälfte zum Schlag geboten und danach lauthals gegrölt, und gegen allen ärztlichen Rat hat er weiter geschlemmt und getrunken. Und er hat keinen Zweifel daran gelassen, daà er auf seine Art bis zum Ende weitermachen würde. Selbst als er nur noch im Rollstuhl auf Feiern erscheinen konnte, manchmal mit einer Pflegerin, die ihm den ständigen Sabber abwischen muÃte, gab er noch mehr als die meisten. Doch seit Kronhardts Tod scheint alles Draufgängerische umgewandelt in stille Reflexion. Und so sitzt Deutschmeister in seinem Rollstuhl da; als wäre seine Innenwelt geschützt, als könnten sich auch in ihm Klarheit und Frieden ungehindert auswirken. Ein Speichelfaden hängt aus seinem Mundwinkel, und während Willem zu ihm spricht, leuchten die alten Augen; bewegen sich, als würden sie die Endlichkeit hinter den Worten durchdringen und dahinter noch Raum und Zeit zurücklassen. Als wäre er schon jetzt losgelöst von der lebendigen Welt der anderen; vom Plaudern, von der Musik und noch von den langen Sonnenstrahlen und dem dunkelnden Blau. Gelegentlich wischt Willem ihm den Sabber weg, klatscht ihm auf die weiÃe Wange und hebt
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