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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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brillantgrün, royalblau oder rubinrot?
    Das Schwarze, sagte er.
    Was! Dieser Klepper, und Kronhardt schien verletzt.
    Das Schwarze stand im Hintergrund; es war schnörkellos, schwer, und noch die Beleuchtung war robust.
    Ein Klassiker, sagte der Verkäufer. Mit Schwingsattel aus Bullenleder.
    Billig ist es nicht.
    Dafür hält es ein Leben.

8
    Kentauros war der Vater, die Mütter magnesische Stuten – gutes, altes Magnesien: Was für ein Volk, was für ein Land! Ein wilder und romantischer Gürtel an der Ägäis, sagte der Lateinlehrer. Benannt übrigens nach einem gewissen Magnes, über den wenig bekannt ist, der es aber nichtsdestotrotz über die Jahrtausende bis in unseren Alltag gebracht hat. Und um beim Stoff an sich zu bleiben: ein Eponym – weiß jemand, was das ist? Nun, ein Sammelbegriff, der von einem Personennamen abgeleitet wird. Der Magnet also von Magnes – und Europa, Amerika: Ach, unsere Sprache ist übervoll mit Eponymen. Kann jemand noch ein Beispiel geben?
    Und als sich niemand meldete, sagte Willem: Epigone.
    Nicht ganz, Kronhardt. Doch für ein cum laude kannst du alte und neue Bedeutung erklären.
    So tauchte Willem ein in die Lateinstunden am Alten Gymnasium.
    Der Lehrer schien ein Mischwesen aus Geschichte und Jetzt, wobei die Geschichte eindeutig stärker ausgeprägt war, und die Klasse hatte das schnell raus. Ein Einwurf genügte meist, und sein Blick schweifte ab. Cicero, also! konnte er dann rufen, und seine Augen begannen zu leuchten: Ja, ja, manchmal möchte man schon glauben, daß dieser Alte tatsächlich unsterblich ist. Daß er munter zwischen Antike und Gegenwart springt – so tief läßt er uns blicken, so nah ist uns dieser Mann und so groß sein Einfluß. Oder der Lehrer holte die anderen Unsterblichen hervor. Epikur, Diogenes, Mark Aurel, und allesamt schienen sie alte Freunde zu sein.
    Willem fand schnell heraus, daß der Stoff selber zu einer eindimensionalen Angelegenheit verkommen war; eine elitäre Blase, in der sich die Sprößlinge von Medizinern oder Rechtswissenschaftlern tummelten. Er hätte lieber Russisch genommen oder Neugriechisch; einen lebendigen Schatz, mit dem er eines Tages einfach losfahren könnte, um mit Juri Gagarin über die Sterne zu plaudern oder in einem Kafenion über den Sinn des Lebens. Die Mutter aber hatte auf dem Latinum bestanden; ein Nachweis, behauptete sie, der automatisch nach oben führe, während Willem diese Sprache überspezialisiert erschien. Eine aufgeblähte Kunst für Fachidioten, die keinen lebendigen Antrieb mehr hatte; nicht mehr wucherte oder Blüten trieb, und das Magische einer Sprache, diese wunderbare Erscheinungsform des Geistes, sah aus wie in Stein geschlagen.
    Doch dieses Mischwesen aus Antike und Gegenwart erschuf mit seinem Sammelsurium von Anekdoten eine erstaunliche Lebendigkeit; als wären Vergangenheit und Gegenwart relativ und Sprünge jederzeit möglich. So ließ der Lehrer Horaz übersetzen, so ließ er deklinieren, konjugieren oder predigte den Ablativus absolutus; so rief er: Hic Rhodos, hic salta!, erklärte den Übergang vom Mythos zum Logos und ließ nebenbei die seltsamsten Typen auferstehen. Urväter der Rebellion und Schamlosigkeit, die sich gegen jede Art von gesellschaftlicher Übereinkunft sträubten; Stoiker und Asketen, Nihilisten und Hedonisten oder jene konsequenten Wanderer, die ohne Rücksicht ihre einmal eingeschlagene Richtung beibehielten – die durch Schlafzimmer, Kriege und über Klippen marschierten wie Heilige. Der Lehrer holte Männer hervor, die zweitausend Jahre vor Galileo das Planetensystem mit der Sonne als Mittelpunkt erklärten; er holte die Atomisten hervor, die die Unendlichkeit im Großen und im Kleinen zusammenführten, die alle Verbindung der Welt im dynamischen Wirken der unteilbaren letzten Teilchen sahen, und als Willem bei den Atomisten nachhakte, rieb sich der Lehrer die Hände. Nolens volens, Kronhardt, rief er voller Freude und erklärte dann, warum der Mensch auch heute noch eingebettet sei in diese Lehre. Warum Leib und Seele und Geist nach den atomistischen Gesetzen funktionierten und daß man das Glück des ewig Lachenden erlangen könne, wenn man nur seine Empfindsamkeit für die Materie schule.
    So stellte Willem fest, daß aus dieser toten Sprache doch eine wilde Lebendigkeit treiben konnte – eine

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