Kronhardt
darüber sehr verärgert.
Von Wrangel sah in dem grenzenlosen Versagen der westdeutschen Politik und der Einsatztruppen vor allem seine Theorie von der kapitalistischen Degeneration bestätigt, und später vor dem Kombinat setzte er die grundlegende Schwäche des Klassenfeinds gleich mit den Bildern von den SEK -Männern, die als Olympioniken verkleidet glaubten, die Situation ganz locker in den Griff zu kriegen. Die glaubten, daà ihre Schmerbäuche unter den Trainingsanzügen unsichtbar blieben und auch die Kippen in ihrer hohlen Hand.
Auch beim nächsten sportlichen GroÃereignis in der BRD sollte von Wrangel wieder dabeisein. Doch mit der plötzlichen Enttarnung von Guillaume änderte sich die Lage, und die Russen offenbarten ihre Launenhaftigkeit. Noch vor Beginn der FuÃball- WM kommandierten sie von Wrangel ab und flogen ihn ein in sibirische Arbeitslager. Dort brachten sie ihn mit inhaftierten Wissenschaftlern und Intellektuellen zusammen, um auf diese Weise womöglich neue Arten der Betrachtung auf den Georgischen Schädel zu eröffnen. Und während die Welt erlebte, wie Sparwasser mit seinem Tor den Klassenfeind degradierte, wurden in Sibirien jenseits der herkömmlichen Wissenschaft Theorien entworfen. Von Wrangel selber nannte seine Abkommandierung Teil einer unsichtbaren Revolution, mit der das westliche Weltbild gestürzt und die Sowjetvölker ein für allemal auf dem Sockel installiert werden sollten. Doch es gelang ihm auch in Sibirien nicht, das Phänomen der Rückwärtsentwicklung aufzuklären und der Weltrevolution dienstbar zu machen. Und als er zurück ins Fischkombinat geholt wurde, konnte er nicht wissen, was die Russen mit ihm vorhatten.
Tatsächlich empfingen sie ihn mit allem Tamtam. Girlanden waren aufgezogen, Schlachtplatten wurden aufgetragen, und auf Geheià aus Moskau stand ein FäÃchen mit Trollinger parat. Auch Honecker war da, nach Ulbrichts Tod der erste Mann im Staat, und die Russen machten von Wrangel in aller Brüderlichkeit zum wissenschaftlichen Berater der Sowjetvölker. Danach lieÃen sie Wodka auffahren, eine Kapelle spielte im Zweivierteltakt, und Damen galoppierten in fröhlicher Geschlossenheit durch den Saal; warfen ihre Beine hoch, und von Wrangel, ob er wollte oder nicht, fiel in den Cancan. Stampfte mit den Genossen aus Moskau, stampfte mit Honecker, als hätte es den Fall Guillaume nie gegeben.
Kaum später jedoch verbrachten die Russen ihn nach Rumänien; ein kleines Ichthyologentreffen am Donaudelta und darauf Besichtigung von Ceau¸sescus Vasallenstaat. Die Securitate zeigte ihm ihre Methoden willkürlicher Aussortierung, und sie zeigten ihm ihre Gefängnisse. Sie zeigten ihm blauäugige Zigeuner und slawische Albinos, und von Wrangel mit seiner draufgängerischen Eigenschaft gab sich begeistert. Er wuÃte, daà die Russen sich ärgerten, weil sie Guillaume verloren hatten. Und wenn sie ihn mit ihrer unberechenbaren Art verunsicherten, lieà er es sich nicht anmerken.
Doch schon bald verlagerten die Russen ihren Ãrger wieder voll auf die Weltbühne und spielten das ganze Spektrum eines Superblocks. Der russische Wahnsinn wechselwirkte mit dem amerikanischen Wahnsinn und entlud sich vor allem auf den Nebenschauplätzen. So wurden Hungerkatastrophen initiiert oder Pandemien; Kinder wurden zu Söldnern aufgerüstet, Brillenträger wurden gejagt, und ihre erfolterten Geständnisse waren Legitimation für alles. Die atomare Schlagkraft wurde vorangetrieben, Kaspar-Hauser-Versuche und Gentechnologie wurden vorangetrieben, und als Kasparow und Fisher sich bei der Schachweltmeisterschaft gegenübersaÃen, wurde im Hintergrund mit parapsychologischen Methoden versucht, den Gegner matt zu setzen.
Immerhin freuten die Russen sich, als Nixon über Watergate strauchelte, und als bald darauf Breschnew und Ford die Wladiwostok-Erklärung zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen unterzeichneten, konnten beide Seiten von den eigenen Problemen und auch den brutalen Nebenschauplätzen ablenken. Und von Wrangel saà derweil in der Bathysphäre und arbeitete auf seine Art daran, die Probleme der Russen ein für allemal zu lösen.
Nach Guillaumes Fall und Brandts Abgang wurden die Probleme nicht weniger. Der neue Kanzler in der BRD setzte Brandts Entspannungspolitik wohl fort, doch so richtig nach dem Geschmack der Russen war Helmut Schmidt nicht.
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